(Familien-)Diagnose Krebs

Über drei Monate habe ich hier nichts mehr von mir hören lassen. Das hat seinen Grund. Denn wenn in einer Familie die Diagnose Krebs einschlägt, ist nichts mehr, wie es einmal war. Dem Erkrankten reißt es, insbesondere wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist, den Boden unter den Füßen weg. Aber auch Partner und gegebenenfalls Kinder und Enkelkinder leiden. Denn alte Gewissheiten lösen sich in Wohlgefallen auf. Pläne für jedwede Zukunft sind nur noch Makulatur. Der Alltag steht von einer Sekunde auf die andere Kopf. Das alles liegt nicht zuletzt daran, dass es, wie es eine Journalistin jüngst in der Welt formulierte, im relativen Wohlstand unseres Landes im Alltag nur noch wenig Begegnungen mit Alter, Krankheit und Tod gibt. So gesehen ist unsere Familie eine Ausnahme, wurden besagte Themen eben nicht ausgeblendet, sondern immer offen angesprochen und angegangen. Dennoch leben wir alle, nachdem Oma die Diagnose ereilt hat, mehr oder weniger in einem psychischem Ausnahmezustand. Dabei zeigt insbesondere sie als unmittelbar Betroffene jedoch eine mentale Robustheit, die es uns allen leichter macht, die neue Realität zu akzeptieren. Was soll ich sagen? Oft stimmt es ja: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Aber bei einer Krebsdiagnose ist es genau anders herum. Oder wie es eine Psychotherapeutin sagt: „Eine offene, ehrliche und altersgemäße Kommunikation hilft allen.“ Und deshalb reden wir – auch in diesem Blog – jetzt auch darüber.

Nach uns die Sintflut

Hier will die CDU unbedingt rein: Das Rote Rathaus in Berlin – ein Modell.

Hier bei uns in Berlin schicken sich CDU und SPD an, eine Landesregierung zu bilden. „Das Beste für Berlin“ soll es nach der Überschrift des ausgehandelten Vertragswerkes werden, so denn die Mitglieder der Berliner SPD und ein Landesparteitag der CDU die 135 Seiten Koalitionsvertrag absegnen. „Zu viel versprochen“, „Berlins teuerste Koalition aller Zeit“ oder „Zweifel sind angebracht!“ sind nur drei Beispiele für Aussagen, die politische Kommentatoren dazu von sich gegeben haben. Wie dem auch sei: Fest steht, die CDU hat so viele Zugeständnisse gemacht, dass die sozialdemokratische Basis trotz des erbitterten Widerstandes von Jusos und Parteilinken gegen diese große Koalition wohl für dieses Bündnis stimmen wird – und der CDU-Parteitag dann sowieso. Dass das Ganze mit Schulden in Milliardenhöhe, die zu Lasten der jungen Generation gehen, ficht die Koalitionäre offenbar nicht an. Nach dem Motto „nach uns die Sintflut“ versaufen Christ- und Sozialdemokraten sozusagen ihrer Enkel Zukunft. Was soll ich sagen? Der unbedingte Wille der CDU, koste es, was es wolle, wieder ins Rote Rathaus einzuziehen, könnte ihr noch teuer zu stehen kommen, teurer jedenfalls, als sie sich das heute vorstellen kann. Denn wenn sich in Sachen Bildung, Verkehr oder Verwaltung in der Stadt nicht signifikant etwas ändert, dürften sich 2026 wieder viele CDU-Wähler von Kai Wegner abwenden und einmal mehr einer linken Koalition den Weg bereiten. Zum Wohle der Stadt wäre das zwar sicherlich nicht. Aber wenn die CDU nicht liefert, ist sie auf unabsehbare Zeit Geschichte – und damit auch jede weitere Option auf eine bürgerliche Koalition. 

Immer nur Verbote

Detlef Untermann (2.v.l.), Initiator und Gründer von KINDER | KOCHEN, im Februar 2018, als der Verein in Hannover von der Bundesregierung ausgezeichnet wurde und seitdem das Logo von INFORM, Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung, nutzen darf.

Wenn es nach dem Willen von Bundesernährungsminister Cem Özdemir geht, soll es zwischen 6 und 23 Uhr im Fernsehen keine Werbung mehr für Süßigkeiten aller Art geben. Der Gesetzesentwurf, der aktuell auf dem Tisch liegt, soll insbesondere Kinder unter 14 Jahre schützen. Danach sollen auch Hörfunkspots zwischen 6 und 23 Uhr, Werbung bei Inhalten für Kinder im Internet oder in der Presse und auf Werbetafeln für ungesunde Lebensmittel im Umkreis von 100 Metern, beispielsweise um Schulen, nicht mehr zulässig sein. Verstöße sollen mit einer Geldbuße bis zu 30.000 Euro geahndet werden. Abgesehen davon, dass ein Werbeverbot doch ziemlich plump und wenig wirkungsvoll ist, wäre eine vernünftige Ernährungserziehung bzw. -bildung ohnehin der bessere Weg. Über Kochen als Unterrichtsfach wird zwar seit Jahren geredet, aber eingeführt worden ist das Fach immer noch nicht – zumindest flächendeckend. Nur vereinzelt wird das Thema angeboten. Auch Kochkurse an Schulen gibt es, wie sie zum Beispiel der Verein KINDER | KOCHEN anbietet. Da können die Kinder die Erfahrung machen, dass kochen Spaß macht und auch noch gesund ist. Was soll ich sagen? Der Vorstoß von Özdemir ist wieder ein Paradebeispiel dafür, dass es den Grünen politisch einfach an Fantasie fehlt und sie am Ende immer wieder auf Verbote setzen. Selbstbestimmung und Eigenverantwortung scheinen für sie Fremdworte zu sein.

Ein Jahr Tod und Verderben

Heute jährt sich der brutale russische Überfall auf die Ukraine das erste Mal – ein Jahr Tod und Verderben. Schätzungen gehen von über 200.000 Toten aus. Die Zahl der Verletzten kann man nur erahnen. Ukrainische Frauen werden vergewaltigt. Ukrainische Kinder nach Russland verschleppt. Millionen sind auf der Flucht. Und ein Ende dieser Barbarei ist nicht in Sicht. Schlimmer noch, das Feuer, das Wladimir Putin entfacht hat, könnte sich auch noch zu einem Flächenbrand ausweiten, der ganz Europa erneut in Schutt und Asche legen würde. Die Rede des russischen Präsidenten am Dienstag jedenfalls ließ nichts Gute ahnen. Knapp zwei Stunden lang verbreitete er nichts anderes als Falschinformationen, Propaganda und Lügen, so dass sich die Balken bogen – erkennbar getrieben von Rassismus, Imperialismus und Kolonialismus. Im Grunde hätte es dieser Rede nicht mehr bedurft, um die Großmachtfantasien dieses Mannes zu erkennen. Doch nach wie vor gibt hierzulande immer noch naive Tagträumer à la Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer, die tatsächlich glauben, man könne sich mit ihm an einen Tisch setzen und vernünftig miteinander reden. Dass dem nicht so ist, muss spätestens jedem klar geworden sein, als Putin am Ende seiner Märchenstunde unbeirrt behauptete: „Die Wahrheit ist auf unserer Seite.“ Was soll ich sagen? Inwieweit Putin Hannah Arendt kennt und gelesen hat, ist zwar nicht überliefert. Ganz sicher aber ist, dass – selbst wenn er ihre Briefe gelesen haben sollte – er sie nicht verstanden hat. Denn wie wusste Hannah Arendt, die große politische Denkerinnen des 20. Jahrhunderts: Wahrheit gibt es nur zu zweien! Und Putin ist einsamer denn je.

PS: Dieses Bild vom Mulinarius wird bald das Meine sein. Matthias Müller, wie er mit richtigem Namen heißt, färbt seit dem 24. Februar – dem Tag, an dem Russland die Ukraine brutal überfallen hat – die Fotos, die er schießt und auf seinen Social-Media-Kanälen postet, in Gelb und Blau ein. 22 dieser Bilder sind aktuell im Roten Rathaus von Berlin in einer Ausstellung zu sehen – und zwar bis 10. März 2023. Die Bilder sind als limitierte Edition erhältlich. Wer eine Spende von 500 € an #WeAreAllUkrainians tätigt, erhält als Dankeschön ein Bild vom Mulinarius. Abgewickelt wird dies über die Webseite: mulinarius.de/ukraine/. Noch sind nicht alle Bilder vergeben. Also, worauf warten Sie noch?

Der Mulinarius stellt aus

Er hat es geschafft. Die Rede ist vom Mulinarius, über den ich an dieser Stelle bereits berichtet hatte. Er bekommt seine Ausstellung, die seine Bilder wahrlich wert sind. Seit dem 24. Februar – dem Tag, an dem Russland die Ukraine brutal überfallen hat – färbt er die Fotos, die er schießt und auf seinen Social-Media-Kanälen postet, in Gelb und Blau ein. Nun wird es eine Ausstellung von 22 dieser Bilder im Roten Rathaus von Berlin geben. Drei Wochen – vom 20. Februar bis 10. März 2023 – sind die Bilder zu sehen. Die Eröffnungsfeier findet am 17. Februar 2023 statt, bei der Matthias Müller, wie der Mulinarius mit bürgerlichem Namen heißt, als Gäste unter anderem Sigrid Nikutta, Vorstand Güterverkehr der Deutschen Bahn AG, und die Staatssekretärin für Engagement, Demokratieförderung und Internationales, Ana-Maria Trăsnea, erwartet. Beide werden sich zu Wort melden mit einer Rede bzw. einem Grußwort. Die Bilder sind als limitierte Edition erhältlich. Wer eine Spende von 500 € an #WeAreAllUkrainians tätigt, erhält als Dankeschön ein Bild vom Mulinarius. Abgewickelt wird dies über die Webseite: mulinarius.de/ukraine/. Was soll ich sagen? Machen Sie mit. Selten habe ich mich für jemanden so gerne eingesetzt wie jetzt für den Mulinarius und dessen Aktion. Er hat es wirklich verdient.

PS: Dass auch ich selbst mitmache, versteht sich von selbst.

Deutsch – Eine Liebeserklärung

Für Mark Twain war sie einfach nur schrecklich, für andere ist sie die schönste Sprache der Welt. Die Rede ist von der deutschen Sprache, der Roland Kaehlbrandt mit seinem aktuellen Buch „Deutsch“ eine Liebeserklärung geschrieben hat. Auf 256 Seiten beschreibt er in liebevollen Worten „die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache“. Dabei spricht er vermutlich nicht nur dem Autor dieser Zeilen aus der Seele, wenn er das Phänomen beschreibt: „Auch ohne ein Seminar über die deutsche Romantik zu besuchen, können wir empfinden, was Waldeinsamkeit bedeutet.“ Und so richtig geht einem das Herz auf, wenn Kaehlbrandt den klassische deutschen Bildungswortschatz würdigt, indem er das Damoklesschwert, die Sisyphusarbeit oder die Tantalusqualen anführt. Und dann ist selbstverständlich die Rede vom Tanz ums goldene Kalb, von dem Land, wo Milch und Honig fließen, oder von David gegen Goliath. Auch fehlen nicht der Gang nach Canossa, das Ei des Kolumbus oder der Rütlischwur. Der Sprachwissenschaftler nennt sie zu Recht „in ihrer sprachlichen Verdichtung selbst kleine Kunstwerke“. Das lesenswerte Buch analysiert die deutsche Sprache, was Wortbildung, Anwendung, Grammatik oder Rechtschreibung betrifft, und macht selbst vor dem Komma nicht halt: Gott vergibt Django nie versus Gott vergibt, Django nie! Was soll ich sagen? Ich zitiere da mal den Autor, der sein Werk mit den Worten beschließt: „Die deutsche Sprache ist ein kostbares Gut und ein schönes Geschenk. Es ist uns anvertraut.“ Dem will ich nur hinzufügen: Gehen wir sorgsam damit um!

PS: Hier noch ein paar deutsche Worte, die von anderen Sprachen übernommen wurde: Polterabend (Dänisch), Kindergarten (Englisch), Gemütlichkeit (Französisch), Weltanschauung (Italienisch), überhaupt (Niederländisch), Fingerspitzengefühl (Norwegisch), Malzbier (Portugiesisch), gefundenes Fressen (Schwedisch), Poltergeist (Spanisch), Pflaster (alle Sprachen Togos).

 Piper
Roland Kaehlbrandt, Deutsch – Eine Liebeserklärung | Piper, 2022, 256 Seiten, 12,00 Euro, ISBN 978-3-492-31756-6

Opa wie Papa, nur in alt

Es ist schon etwas her, da war ich wieder zum Geburtstag meines Schwiegersohnes eingeladen. Er ist in den 70ern geboren und hat fast so viele Jahre auf dem Buckel, wie meine Frau und ich uns kennen. Das sind in der Tat schon ein paar Jahre. Die Goldene Hochzeit lässt jedenfalls auch nicht mehr so lange auf sich warten. Doch das ist eine andere Geschichte. Bleiben wir bei der Geburtstagsfeier, zu der mein Schwiegersohn – wie jedes Jahr – seine Freunde eingeladen hatte. Insofern kenne ich die meisten und die meisten kennen auch mich. Vor allem mit einem von ihnen komme ich immer gleich ins Gespräch und amüsiere mich prächtig. Und er offensichtlich auch. Denn meine Töchter erzählten mir, dass er sich ausgesprochen anerkennend über mich geäußert und Folgendes gesagt habe: „Der ist ja genauso wie wir, nur dreißig Jahre älter.“ Was soll ich sagen? Da kannste nicht meckern, würde der Berliner sagen, zumal dieses Kompliment in etwas anderer Form bereits von einem meiner Enkel so geäußert worden war. Der hatte schon vor Jahren einmal festgestellt: „Opa ist ja wie Papa, nur in alt.“

Unser neuer Kitchen-Keeper

Als Maître de Cuisine hat man normalerweise einen Souschef. Andere Kochkünstler versuchen es zuweilen mit einer Küchenfee oder Küchengeistern. Auch Zauberkochlöffel sollen hier und da zum Einsatz kommen. Kochgenies lassen sich eben etwas einfallen. Mir wurde die Entscheidung sozusagen abgenommen. Denn bei uns ist jetzt ein Weihnachtswichtel in Gestalt eines Koches hereingeschneit, der in unserer offenen Küche den Kitchen-Keeper mimt. Was soll ich sagen? Meine liebe Frau hat dem kleinen Kerl auch gleich einen Spitznamen verpasst. WiKo soll er fortan heißen, abgeleitet von Wichtelkoch. Ich hätte ihn vielleicht KiKo genannt, in Anlehnung an unser Projekt KINDER | KOCHEN, das in diesem Jahr nach Corona hoffentlich seinen Betrieb wieder aufnehmen kann. Dann hätte er sich als Talisman nicht nur eine Haube, die hat er ja schon, sondern gleich mehrere Michelin-Sterne verdient. Also Daumen halten!

Führung? Wo?

“Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch”, so ziemlich vollmundig Bundeskanzler Olaf Scholz vor nicht allzu langer Zeit. Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat Deutschland am 26. September 2021eindeutig Führung beim Spitzenkandidaten der SPD bestellt und der Partei mit 25,7 Prozent einen eindeutigen Führungsauftrag erteilt. Nun gut, bereits in den vergangenen 13 Monaten hätte man sich an der einen oder anderen Stelle ein wenig mehr Führung vom Regierungschef gewünscht. Aber heute, an dem Tag, an dem die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt über die deutschen Streitkräfte ihren Rücktritt erklärt und damit die Bundeswehr führungslos zurückbleibt, lässt der Kanzler weiter auf sich warten: “Ich habe eine klare Vorstellung”, sagt Scholz dazu lediglich, während rund 1.200 Kilometer entfernt in Europa ein Krieg tobt, den Russland brutal wie verantwortungslos gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat. Und man muss wahrlich nicht viel Fantasie aufbringen, um sich vorzustellen, wie schnell die kriegerischen Handlungen näher an Deutschland heranrücken können. Was soll ich sagen? Ich habe fast mein ganzes bisheriges Leben u.a. darauf verwendet, dazu beizutragen, dass unser Land weiter in Frieden und Freiheit leben kann. Dafür habe ich 1972 bis 1974 eine Wehrdienstzeit von 24 Monaten absolviert und danach bis 2004 rund 30 Monate Wehrübungen abgeleistet und es dabei, das sage ich nicht ohne Stolz, zum Oberstleutnant der Reserve gebracht. Was für meine Frau, die Niederländerin ist, eine völlige Selbstverständlichkeit war, haben nicht wenige deutsche Landsleute mit Kopfschütteln quittiert. Das hat sich über die Jahre fortgesetzt und der Bundeswehr einen Imageverlust beigebracht, was seinen traurigen Höhepunkt heute darin erfuhr, dass der Bundeskanzler nicht in der Lage war, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für eine der wohl schwächsten Besetzungen dieses so wichtigen Ressorts präsentieren zu können. Das haben unsere Streitkräfte und die Soldatinnen und Soldaten nicht verdient. Es ist aber leider ein sichtbares Zeichen dafür, dass Deutschland 2023 weder verteidigungswillig noch verteidigungsfähig ist.

Deutschland 2023!

Es sollte eine historische Mission werden. Doch es kam anders und demonstrierte einmal mehr, dass in Deutschland so ziemlich alles in die Hose gehen kann. Doch fangen wir von vorne an. Irgendwann Mitte Dezember 2022 machte eine Nachricht die Runde, von der noch im April des Jahres selbst Alexander Edenhofer, Pressesprecher der Deutschen Post, noch nichts wissen wollte: „Wir überprüfen regelmäßig, welche unserer Produkte wie rege nachgefragt werden und ziehen daraus die notwendigen Rückschlüsse“, erklärte er gegenüber der Zeitschrift Capital, als diese der Frage nachging, wie lange es in Deutschland wohl noch das Telegramm geben werde. Denn in Indien, Frankreich, Österreich, der Schweiz oder seit 2021 auch in Ungarn gibt es das Telegramm nicht mehr. Und auch in Deutschland waren viele der Dienstleistungen, die das Telegramm hierzulande einmal besonders machten, mit den Jahren dem Rotstift zum Opfer gefallen. Seit 2018 konnten Kunden ihren Gruß nicht mehr sonntags zustellen lassen oder ins Ausland schicken. Die einst große Auswahl bei den Schmuckblättern war auf fünf Motive geschrumpft. Insofern schien es Fachleuten nur noch eine Frage der Zeit, wann auch das Telegramm in Deutschland das Zeitliche segnen würde. Und tatsächlich, kurz vor Weihnachten kündigte die Deutsche Post an: Am Jahresende ist Schluss. Auf der Webseite heißt es jetzt: Das Produkt Telegramm wurde leider zum 31.12.2022 eingestellt, da die Nachfrage nach diesem Produkt auf Privatkundenseite in den letzten Jahren immer mehr gesunken ist. Das sollte sich so kurz vor Toresschluss noch einmal ändern. Wie offensichtlich andere auch kam ich auf die Idee, ein letztes Telegramm aufzugeben, sozusagen als Reverenz an eine altehrwürdige Institution. Also setzte ich mich an meinen Mac, rief die Telegramm-Seite im Webauftritt der Deutschen Post auf und gab den Text ein. 132 Zeichen umfasste die Nachricht, die ich an Oma und mich adressierte. Das Minitelegramm – ohne Schmuckblatt wohlgemerkt – kostete 12,90 €. Ein stolzer Preis, wenn man bedenkt, dass ein Brief nur 0,85 € kostet – und der wäre, wenn die Deutsche Post ihr Versprechen der Brieflaufzeit von E+1 (Einwurftag + 1 Werktag) gehalten hätte, bereits am nächsten Tag zugestellt worden. Mein Telegramm indes ließ auf sich warten. Am 31. Dezember jedenfalls klingelte der Postbote nicht, um das Telegramm persönlich zu übergeben. Auch am ersten Werktag nach dem Jahreswechsel, also am Montag, 2. Januar 2023, warteten wir vergebens. Auch die Sendungsverfolgung ließ uns lediglich wissen: Nichts Genaues weiß man nicht! Zwischenzeitliche Versuche, jemanden bei der Deutschen Post zu erreichen, scheiterten kläglich. Erst bei der Post-Pressestelle Berlin konnte ich einen Ansprechpartner finden, der mir zudem das Gefühl gab: Ich kümmere mich – und hat es auch getan. Heute dann überschlugen sich sozusagen die Ereignisse: Während der Postmann klingelte und Oma das Telegramm aushändigte und dabei eingestand, dass eigentlich niemand so genau gewusst habe, wie man mit einem Telegramm umgeht, erhielt ich von meinem Pressekontakt per E-Mail die Nachricht: „Ihr Telegramm befindet sich aktuell in der Zustellung. Wir bitten die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Kurz vorm Jahreswechsel gab es noch einmal einen Run auf Telegramme. Mutmaßlich hatten viele Kundinnen und Kunden die gleiche Idee wie Sie. In Einzelfällen hat dies zu Verzögerungen geführt. Sie sind betroffen.“ Was soll ich sagen? Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Jedenfalls war das Telegramm 3 Tage, 21 Stunden und 35 Minuten unterwegs – eine stattliche Zeit, wenn man an die Brieflaufzeit denkt. Aber das ist jetzt alles Geschichte. Und worauf konzentriert sich die Deutsche Post nach der Einstellung dieses fast 180 Jahre alten telegrafischen Nachrichtenkanals? Sie setzt „auf die Weiterentwicklung unserer erfolgreichen individualisierbaren Produkte, wie etwa die ‘Briefmarke Individuell‘“, offenbarte jüngst eine Postsprecherin dem ZDF. Okay: Digital war gestern. Es lebe die gute, alte, analoge Zeit. Deutschland 2023!