Berlin-Dossier Nr. 1

Wie die Katze das Mausen nicht lässt, kann ich das politische Geschehen nicht unkommentiert lassen. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Einmal Journalist, immer Journalist. Und dass sich auch andere Zeitgenossen immer noch dafür interessieren, was ich so über dies und das denke, schmeichelt mir nicht nur, sondern lässt mich noch genauer hinschauen, was hier in Berlin politisch so vor sich geht – auf Landes- wie auf Bundesebene. Was soll ich sagen? Einmal im Monat wird es künftig ein Berlin-Dossier geben. Dabei werde ich versuchen, auch und vor allem die Themen aufzugreifen, die vom journalistischen Mainstream gerne links oder rechts liegen gelassen werden. Auf geht’s!

Berlin-Dossier Nr. 1

15. September 2023

Von Detlef Untermann

Die Parlamentsferien in Berlin sind vorbei. Sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene hat der politische Betrieb seine Arbeit wieder aufgenommen. Aber auch außerhalb von Abgeordnetenhaus und Bundestag ist einiges los, was die Menschen in der deutschen Hauptstadt betreffen und bewegen wird.

So wollen die Aktivisten der „Letzten Generation“ ab 18. September die Stadt zum Erliegen bringen und „Tag für Tag erneut unignorierbar den Alltag in Berlin unterbrechen“ – und das monatelang bis Weihnachten. Bei den bisher 617 organisierten Blockaden und anderweitigen Aktionen der Gruppe war es bereits zu massiven Verkehrsbehinderungen gekommen. So wurden nach einer Bilanz der Berliner Polizei beispielsweise 119 Einsatzfahrten der Berliner Feuerwehr – vorwiegend Rettungswagen – behindert, was sich mittlerweile auf Verzögerungen von 21 Stunden und 28 Minuten addiert. Insgesamt wurden 4.891 Anzeigen aufgenommen. Die Berliner müssen sich also auf einiges gefasst machen und voraussichtlich viel Geduld mitbringen. Verständnis wird es wohl eher weniger geben.

Mit wenig Verständnis können auch die an der Spree regierenden Christ- und Sozialdemokraten rechnen, die nun die Arbeiten am Enteignungsrahmengesetz aufnehmen werden. Von der SPD hat man ja nichts anderes erwartet. Aber dass sich die CDU mit ihrem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner als Wegbereiterin von Massenenteignungen entpuppt, ist mehr als bemerkenswert. Dabei würde dadurch keine einzige Wohnung neu geschaffen, sondern nur Geld in Milliardenhöhe verpulvert, das dringend für den Neubau von Wohnungen benötigt wird. Denn mit 100.000 fehlenden Wohnungen hat Berlin das größte Defizit der sieben größten Städte in Deutschland.

Das Thema Wohnungspolitik sorgt auch auf Bundesebene für Kopfschütteln. Denn die SPD-Bundestagsfraktion hat ein Maßnahmenpaket geschnürt, das eher dazu geeignet ist, dem ohnehin dahinsiechenden Wohnungsbau endgültig den Rest zu geben, anstatt ihn wiederzubeleben. Die Folterwerkzeuge für die Immobilienbranche lesen sich u.a. wie folgt:

– Bundesweiter Mietenstopp, der in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt eine maximale Mietsteigerung von sechs Prozent in drei Jahren bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete gestattet,

– Abschaffung der bislang nach einer Zehn-Jahres-Frist geltenden Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne nicht selbst genutzter Immobilien oder

– Gesonderte Ausweisung von Mobilierungszuschlägen und Anwendung der Mietpreisbremse auf Verträge mit einer Mietdauer von über sechs Monaten, da die möblierten Wohnungen nicht mehr als „nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet“ gelten sollen.

Die Liste ließe sich fortsetzen.

Allerdings haben nicht nur die Sozialdemokraten ein Abonnement auf konsequente Verweigerung der Realität. Auch bei den Grünen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Sie wissen nicht, was sie tun. Jüngstes Beispiel einer schier unendlichen Kette ist das Agieren von Bundesfamilienministerin Lisa Paus, die mal eben das Wachstumschancengesetz in Geiselhaft für ihre Kindergrundsicherung genommen hat. Das ging nicht nur zu Lasten ihres Parteifreundes, des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck, sondern – schlimmer noch – des ohnehin mehr als Not leidenden Wirtschaftsstandortes Deutschland.

Dabei sollte sich bei SPD und Grünen so langsam herumgesprochen haben, dass nur eine starke Wirtschaft auch eine sichere Grundlage für alle staatlichen Ausgaben und für einen starken Sozialstaat bildet. Jede bzw. jeder weiß, dass man nur ausgeben kann, was man zuvor eingenommen hat. Wenn man die Haushaltsdebatte im Bundestag verfolgt hat, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Erkenntnis noch nicht bei allen roten und grünen Bundestagsabgeordneten angekommen ist.

Nicht minder verwundert reibt man sich ungläubig die Augen, wenn SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und CDU-Chef Friedrich Merz plötzlich eine gedankliche Koalition eingehen und sich über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes einig sind – als wenn in Deutschland nicht schon mit die höchsten Steuern weltweit gelten würden, was bei der Gewinnung von dringend benötigten Fachkräften sicherlich nicht viel weiter hilft. Dabei ist es derselbe Kevin Kühnert, der sagt: „Die CDU will offenbar ein Leben, um zu arbeiten. Die SPD lehnt das ab.“ Der Traum vom „anstrengungslosen Wohlstand“, den der Top-Manager Wolfgang Reitzle als “Illusion“ bezeichnet hat, lässt grüßen – und das, obwohl Deutschland bereits heute mit 1349 Stunden ohnehin die mit Abstand kürzeste Jahresarbeitszeit der Welt hat.

Doch die Menschen sind nicht dumm und merken so langsam, dass das Schiff zu sinken beginnt. Insofern lassen die gegenwärtigen Umfrageergebnisse alle Alarmglocken schrillen. Denn die selbsternannte Alternative für Deutschland ist sicher vieles, aber keine Alternative – weder für Deutschland noch für Europa. Ungeachtet dessen kann man den gegenwärtigen Gemütszustand im Lande wohl nicht besser beschreiben, als es Stefan Aust in der Welt getan hat, nämlich damit, „dass viele die Grün-Rote Zeigefinger-Politik inzwischen mit dem ausgestreckten Mittelfinger beantworten.“

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Ein Gedanke zu „Berlin-Dossier Nr. 1

  1. Lieber Opa,
    Da schreibst Du mir aus der Seele.
    Es ist der absolute Wahnsinn, der sich da im Moment in der Politik Deutschlands abspielt. Wer sich politisch engagiert, merkt es ebenfalls auf kommunaler Ebene, dass auf Biegen und Brechen Programme durchgezogen werden. Egal mit welchen Verlusten.
    Bürgerwille adé! Aber mit welchen Folgen?
    In Hessen und Bayern haben wir bald Landtagswahlen. Dort wird sich einiges zeigen. Ich bin gespannt.

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