Wir haben uns infiziert

Es ist passiert: Oma und ich haben uns infiziert. Nicht mit Corona, Gott sei Dank, sondern mit dem Schachfieber. War es zu Beginn der Pandemie hin und wieder mal eine Partie, setzen wir uns mittlerweile täglich mindestens einmal ans Schachbrett, von dem es in unserem Haushalt inzwischen bereits vier Versionen gibt. Unsere neueste Errungenschaft ist dabei ein klassisches Bauhaus-Schachbrett, das auf seine Funktion als Spielfläche reduziert und randlos ist und in Süddeutschland gefertigt wurde. Passend dazu haben wir uns Figuren angeschafft, die aus dem indischen Amritsar stammen, woher nicht nur die meisten, sondern auch die feinsten Schachfiguren der Welt kommen. Und in der Tat: Der von Hand geschnitzte Springer ist ein wahres Kunstwerk und begeistert mich jedes Mal, wenn ich mit ihm ziehe. Die Form der Figuren geht auf einen in der Mitte des 19. Jahrhunderts gestalteten und nach dem englischen Schachpionier Howard Staunton benannten Satz zurück. Die Königshöhe beträgt zehn Zentimeter. Was soll ich sagen? Manchmal habe ich den Eindruck, dass, je digitaler die Welt wird, die Haptik immer mehr an Bedeutung gewinnt. Bei mir ist es jedenfalls so. Und ich genieße es jedes Mal, wenn ich unsere neuen Figuren in der Hand habe.

Berlin seiner Zeit voraus!?

Es ist nicht alles schlecht in Berlin. Mit dem Impfen gegen Corona beispielsweise bekommen sie das hier eigentlich im Großen und Ganzen ganz gut hin. Laut Robert-Koch Instituts (RKI) haben mindestens 15,6 Prozent der Berliner eine Erstimpfung erhalten, 7,0 Prozent sogar die zweite Dosis. Bei den Vollgeimpften steht Berlin damit derzeit an der Spitze der deutschen Impfstatistik. Auch als Oma und ich letztens geimpft wurden, hat das ganz gut geklappt. Aber Berlin wäre nicht Berlin, wenn nicht irgendwas die Erfolgsbilanz gleich wieder verhageln würde. Und man muss auch gar nicht lange warten. Ein guter Bekannter erzählte mir von seinem Freund, der eine doch recht merkwürdige Mitteilung von den Corona Impfzentren – Berlin erhalten hat – und das bereits am 8. April. So heißt es da: “Sofern wir uns nicht irren, haben Sie Ihren Termin am Mittwoch, den 14. April 2021 um 13.15 Uhr bei Corona Impfzentren – Berlin nicht wahrgenommen oder zu spät abgesagt.” Termin am 14. April 2021 nicht wahrgenommen? Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich mit Blick auf das Datum. Was soll ich sagen? Das ist typisch Berlin, wo der Berliner, auch wenn der Irrtum evident ist, sagen würde: Berlin ist seiner Zeit voraus – ganz nach dem Motto: Wir haben zwar keine Alpen, aber wenn, dann wären sie die größten der Welt.

Diese Mitteilung spricht für sich.

Wut

Harald Martenstein ist ein großer Wurf gelungen. Wut ist nicht nur ein erschütternder Roman, sondern auch ein imposantes Sittengemälde der Nachkriegszeit, in der eine Mutter mit ihrem Sohn ihren Weg sucht. Die Geschichte aus Sicht des Sohnes zu erzählen, macht Sinn. Denn nur diese Generation kann sich in diesem Drama auch wiederfinden. Die Mutter-Generation dürfte bereits tot sein oder zumindest so alt, dass sie dem Ganzen nicht mehr folgen könnte bzw. gar nicht wollte. Die Frage, ob Martenstein wirklich eigene Erlebnisse kompensiert hat bzw. in welchem Ausmaß, ist müßig. Zu viel Schicksale dieser Art gab es, die ihr trauriges Lied aus dieser Zeit singen können. Das macht die Sache von Prügel und Nichtbeachtung natürlich nicht besser. Jeder, der auch nur annähernd ähnliche Erlebnisse gehabt hat, weiß, dass die einen nie los lassen werden, egal wie alt man wird. So richtig die Darstellung Martensteins von Eigen- und Fremdsicht auf Mutter und Sohn auch ist, die entscheidende Frage, warum dieser grenzenlosen Egoismus vieler Nachkriegsmütter sich so ungebremst entwickeln konnte, bleibt auch bei ihm letztlich unbeantwortet. Aber wie sollte es auch anders sein. Wie sollten die Söhne (und auch Töchter) wissen, warum ihre Mütter so tickten, wie sie tickten, wenn die sich dessen nicht einmal und vor allem keiner Schuld bewusst waren. Was soll ich sagen? Mit Sprache, Stil und Ende des Buches mögen manche nicht einverstanden sein und zurechtkommen. Das ist zwar bei mir nicht der Fall. Aber es ändert auch nichts an der Erkenntnis, dass jeder sein Schicksal auf seine Weise bewältigen muss. Der eine schreit es heraus, der andere frisst es in sich hinein. Entscheidend ist, eine Zukunftsperspektive für sich zu finden, die das Leben für sich und andere erträglich macht. Das an sich ist schon schwierig genug. Doch mit Martenstreins Wut haben alle Betroffenen nun die Gewissheit: Sie sind nicht allein. Und geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.

Harald Martenstein, Wut
Ullstein, Berlin, 2021, 272 Seiten, 22,00 Euro, ISBN978-3-550-20210-2

Frohe Ostern

Ungeachtet dessen, dass es bereits das zweite Ostern ist, das während Corona stattfindet, wünsche ich allen Lesern ein frohes Osterfest. Was soll ich sagen? Hoffen wir, dass der Hase nächste Jahr keine Maske mehr tragen muss.

Auch ich würde blind wählen

Es ist tatsächlich passiert. Wider Erwarten sind Oma und ich bereits mit AstraZeneca geimpft, während Ärzte, Lehrer und andere Berufsgruppen, die an vorderster Corona-Front stehen, zunächst einmal in die Röhre schauen müssen. Unser Impfglück verdanken wir der umstrittenen Entscheidung der Ständigen Impfkommission und der Gesundheitsministerkonferenz, den Impfstoff nicht mehr an unter 60-Jährige zu verimpfen. Daraufhin hat es Berlin Menschen zwischen 60 und 69 Jahren – also wie Oma und mir – ermöglicht, sich auch ohne Impfeinladung bereits ab Karfreitag mit AstraZeneca impfen zu lassen. Einen Termin konnte man telefonisch und ohne Buchungscode ab Gründonnerstag um 7.00 Uhr vereinbaren. Das allerdings war eine Herausforderung. 28 Mal habe ich versucht, bei der Hotline durchzudringen. 27 Mal bin ich dabei nach jeweils zwei Minuten damit vertröstet worden, dass alle Plätze durch das gestiegene Interesse belegt seien, und aus der Leitung geflogen. Beim 28. Mal dann wurde mir eine Wartezeit von 23 Minuten angekündigt, die ich auch geduldig abgewartet habe. Mehr noch: Nach 36 Minuten schließlich teilte mir die monotone Computerstimme im Endergebnis mit, dass es mit einem Impftermin wegen des großen Andrangs doch nichts mehr werden würde. Doch bevor ich – Gott sei Dank – wütend und enttäuscht auf mein Handy schlagen und die Verbindung abbrechen konnte, vernahm ich eine freundliche weibliche Stimme, die mich nach Nennung ihres Namens mit säuselnder Stimme fragte: “Was kann ich für Sie tun?” Zunächst ging ich davon aus, dass meine Nerven derart ramponiert sein mussten, dass ich da eine akustische Fata Morgana wahrnehmen würde. Doch die junge Dame ließ nicht locker und holte mich in die Wirklichkeit zurück. Und eh ich mich versah, hatte ich für Oma und mich einen Termin gemacht, der bereits am Karfreitag um 10.30 Uhr stattfand. Nun sind wir also geimpft und der Normalität zumindest ein kleines Schrittchen näher gekommen. Was soll ich sagen? Als Berliner ist man ja diesbezüglich nicht sonderlich verwöhnt. Dass etwas mal funktioniert und die Menschen zuvorkommend sind, ist ja eher selten. Umso erstaunlicher war die gute Organisation vor Ort und die Freundlichkeit der vielen, auch ehrenamtlichen Helfer. Bemerkenswert war zudem, dass sich Ärzte bei den Geimpften bedankten, dass sie sich mit AstraZeneca haben impfen lassen und damit einen Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet hätten. Ich hoffe nur, dass trotz des unseligen Hin und Hers um den Impfstoff viele Menschen von dem Angebot Gebrauch machen und sich impfen lassen – auch mit AstraZeneca. Denn wie hat eine Ärztin und Professorin u.a. auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit in einem Interview auf die Frage geantwortet, mit welchem Impfstoff sie sich denn impfen lassen würde, wenn sie es sich aussuchen könnte: “Sie können mir die vier zugelassenen Impfstoffe hinlegen, ich ziehe einen Impfstoff blind heraus und lasse mich damit impfen.” Gut so! Da kann sich so mancher Politiker vor allem in der Regierung eine Scheibe von abschneiden.

Glücklicher Opa an Karfreitag in Berlin nach der ersten Corona-Impfung mit AstraZeneca.

Dankbar für so viele Jahre

Im vergangenen Jahr ist unser Hochzeitstag irgendwie unter die Räder des Corona-Virus gekommen. Oma und ich können uns jedenfalls nicht mehr daran erinnern, ob wir diesen Tag in irgendeiner Form gewürdigt haben. Dieses Jahr soll das nicht wieder passieren, zumal wir heute unseren  45. Hochzeitstag, also Messing-Hochzeit feiern. Was soll ich sagen? 45 Jahre sind eine Menge Holz bzw. Messing. Dafür sind wir beide sehr, sehr glücklich und vor allem unendlich dankbar, dass uns so viele gemeinsame Jahre bislang vergönnt waren. In diesem Sinne werden wir am Abend bei einem angemessenen Abendessen anstoßen und an alle denken, die unseren gemeinsamen Weg bislang begleitet haben. Dabei nehmen unsere Kinder und Enkelkinder, die unser Glück vollkommen machen, natürlich einen ganz besonderen Platz ein. Und so hoffen wir, dass uns noch viele Jahren bleiben und wir gesund und bei wachem Verstand unser gutes Leben gemeinsam genießen können.

Und sie wissen nicht, was sie tun

Das, was Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder aktuell in Sachen Corona veranstalten, ist mit Worten nicht mehr zu beschreiben. Was soll ich sagen? Das Einzige, was einem da noch einfällt, ist: Und sie wissen nicht, was sie tun!

Föderalismus neu denken

Am Sonntag, 21. März 2021, ist es soweit: Die 4. ohfamoose Unkonferenz findet statt, zwar nur online, aber immerhin. Ich bin auch wieder mit einem Thema vertreten, zudem ich mir vorab schon mal ein paar Gedanken gemacht habe. Die wurden vor ein paar Tagen bereits auf dem ohfamoosen Blog veröffentlicht und sind nun auch hier zu lesen:

Es fällt mir wahrlich nicht leicht, CDU-Chef und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet recht zu geben. Aber das, was er jetzt der WELT AM SONNTAG gesagt hat, kann ich voll und ganz unterschreiben: „Wir brauchen ein ganz großes Reformwerk, eine echte Föderalismusreform. Das heißt aber nicht, dass dann alles zentralstaatlicher werden muss. Die Vorstellung, dass alles besser ist, was Berlin entscheidet, hat sich in den vergangenen Monaten in keiner Weise bestätigt. In der Krise haben die Länder und vor allem die Landräte und Oberbürgermeister Maßstäbe gesetzt. Heute nehmen wir uns Tübingen und Rostock zum Vorbild. Wir müssen nach Corona analysieren, wo es Reformbedarf gibt. Das wollen wir nach der Pandemie in der nächsten Wahlperiode anpacken.“

Wohl war, kann ich da nur sagen. Allerdings kommt mir da unvermittelt Goethes Faust in den Sinn, der vermutlich gerade auch bei diesem Thema gesagt hätte: „Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Denn immerhin waren und sind es ja vor allem die Länder, die in der Vergangenheit jeden Reformansatz im Keim erstickt haben und es nach wie vor tun.

Dabei ist das Thema wahrlich nicht neu. Ich kann mich noch gut an eine große Redaktionskonferenz erinnern, als ich Ende der 1980er Jahre Leiter Innenpolitik im Hörfunk des Bayerischen Rundfunks war. Dort habe ich nur die Frage aufgeworfen, ob die von den Ländern verantwortete Bildungspolitik so noch zeitgemäß sei, wenn man bedenke, welche Anforderungen an berufstätige Eltern mit schulpflichtigen Kindern gestellt würden, was die Flexibilität hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes angehe.

Abgesehen einmal von dem Spießrutenlauf, den ich hiernach zwischen Hörfunkdirektor, Chefredakteur und Intendanz absolvieren musste, können meine Frau und unsere Kinder ein Lied davon singen. Als wir von Bayern nach Berlin gezogen sind, traf es unsere Jüngste besonders hart. Sie kam von der ersten Klasse Gymnasium in die sechste Klasse Grundschule. Ihre Begeisterungsstürme hielten sich verständlicherweise in Grenzen. Von den anderen Unterschieden will ich gar nicht reden. Erst recht nicht vorstellen mag ich mir die Probleme, wenn jemand mit seinen Kindern berufsbedingt in die andere Richtung, also von Berlin nach Bayern ziehen muss. Zwischen den übrigen Bundesländern sieht es auch nicht viel besser aus.

Und bislang ging es nur um das Thema Bildung. Betrachtet man drei weitere Politikfelder wie Gesundheit, Finanzen und Digitalisierung wird einmal mehr deutlich, wie groß der Reformbedarf tatsächlich ist.

Um es an dieser Stelle aber auch ganz deutlich zu sagen: Es geht bei dieser Diskussion nicht um die Abschaffung des Föderalismus. Die Väter unseres Grundgesetzes haben sich nach den traumatischen wie traumatisierenden Erfahrungen im Dritten Reich etwas dabei gedacht, warum sie die Macht im Lande in dieser Form aufgeteilt haben. Nie wieder sollte es eine alle anderen Kräfte beherrschende Partei und in der Folge einen allmächtigen Zentralstaat geben dürfen. Gerade das Gehabe der AfD beweist, wie weise diese Entscheidung seinerzeit war.

Noch einmal: Der Föderalismus soll auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Wenn er aber dauerhaft überleben soll, sind Reformen zwingend notwendig.

Wie diese aussehen können oder sollen, wollen wir bei der 4. ohfamoosen Unkonferenz am Sontag, 21. März 2021, online diskutieren. Mit von der Partie in der Session Föderalismus am Nachmittag ist auch Martin Blach, Vorsitzender des Vorstandes von Kloster Eberbach. Für eine kompetente Moderation wird Tanja Samrotzki sorgen, die als erfahrene Parlamentskorrespondentin gilt. Wer mitdiskutieren will, ist herzlich eingeladen. Hier geht’s zur kostenlosen Anmeldung.

Was soll ich sagen? Es ist also angerichtet. Wer bei den letzten Unkonferenzen dabei war, weiß, dass sich eine Teilnahme in jedem Falle lohnt. Dabei sein ist alles.

Manic Monday

Es sind schon verrückte Zeiten. Da ist an einem Tag wie heute sozusagen die Top-Nachricht der Woche, dass die Friseure wieder geöffnet haben. Für die Friseure freue ich mich natürlich – und für mich auch, hatte ich doch gleich um 13.00 Uhr am Wiedereröffnungstag einen Termin. Wobei anzumerken bliebe, dass es auch Zeitgenossen gab, die es nicht abwarten konnten und um 9.00 Uhr oder bereits um 8.30 Uhr oder sogar noch früher auf dem Stuhl der Friseurin oder des Friseurs ihres Vertrauens Platz genommen hatten. Wie dem auch sei, dieser haarige Tag wird vielen in nachhaltiger Erinnerung bleiben und sie werden noch ihren Kindern und Enkeln davon erzählen. Was soll ich sagen? Wie auch immer: Der Friseurzunft gilt unser aller Dank, dass sie so lange während des Corona-Lockdowns ausgehalten hat und nun wieder wie gehabt für uns Normalsterbliche da ist. Zu ihrer Ehre will ich auf eine Seite verlinken, die vielleicht nicht mehr ganz so aktuell, aber es dennoch wert ist: Manic Monday – Der ganz normale Friseur-Salon-Wahnsinn. Da sind Klasse-Sprüche zu finden, von denen mir zwei am besten gefallen haben: Friseure machen die Welt stetig ein bisschen schöner: einen Haarschnitt nach dem anderen! oder Friseur-Mantra: “Selbst wenn das Leben nicht perfekt ist, können es Deine Haare aber sein!”

Endlich wieder Haare geschnitten: Opas Friseurin nach getaner Arbeit.

Die Grippe und die Menschen

“Die Geschichte ist eine ewige Wiederholung.” Das wusste schon rund 400 Jahre vor Christus der griechische Historiker Thukydides, auch wenn das bis heute immer wieder gerne bestritten wird. Ein signifikantes Beispiel aus jüngerer Zeit belegt ein Gedicht, was mir jetzt in die Hände gefallen ist, aber bereits vor über 100 Jahren veröffentlicht wurde. Erschienen ist es 1920 in der schweizerischen Satire-Zeitschrift “Nebelspalter” und beschreibt die Zeit der Spanischen Grippe von 1918 bis 1920, als wenn es ein Blick in die Zukunft der Jahre 2020 und 2021 mit dem Corona-Virus wäre:

“Die Grippe und die Menschen”

Als Würger zieht im Land herum
Mit Trommel und mit Hippe,
Mit schauerlichem Bum, bum, bumm,
Tief schwarz verhüllt die Grippe.

Sie kehrt in jedem Hause ein
Und schneidet volle Garben –
Viel rosenrote Jungfräulein
Und kecke Burschen starben.

Es schrie das Volk in seiner Not
Laut auf zu den Behörden:
“Was wartet ihr? Schützt uns vorm Tod –
Was soll aus uns noch werden?

Ihr habt die Macht und auch die Pflicht –
Nun zeiget eure Grütze –
Wir raten euch: Jetzt drückt euch nicht.
Zu was seid ihr sonst nütze!

‘s ist ein Skandal, wie man es treibt.
Wo bleiben die Verbote?
Man singt und tanzt, juheit und kneipt.
Gibt’s nicht genug schon Tote?”

Die Landesväter rieten her
Und hin in ihrem Hirne.
Wie dieser Not zu wehren wär’,
Mit sorgenvoller Stirne:

Und sieh’, die Mühe ward belohnt.
Ihr Denken ward gesegnet:
Bald hat es, schwer und ungewohnt,
Verbote nur so geregnet.

Die Grippe duckt sich tief und scheu
Und wollte sacht verschwinden –
Da johlte schon das Volks aufs Neu’
Aus hunderttausend Münden:

“Regierung, he! Bist du verrückt –
Was soll dies alles heißen?
Was soll der Krimskrams, der uns drückt,
Ihr Weisesten der Weisen?

Sind wir den bloß zum Steuern da,
Was nehmt ihr jede Freude?
Und just zu Fastnachtszeiten – ha!”
So gröhlt und tobt die Meute.

“Die Kirche mögt verbieten ihr,
Das Singen und das Beten –
Betreffs des andern lassen wir
Jedoch nicht nah uns treten!

Das war es nicht, was wir gewollt.
Gebt frei das Tanzen, Saufen.
Sonst kommt das Volk – hört, wie es grollt,
Stadtwärts in hellen Haufen!”

Die Grippe, die am letzten Loch
Schon pfiff, sie blinzelt leise
Und spricht: “Na endlich – also doch!”
Und lacht auf häm’sche Weise.

“Ja, ja – sie bleibt doch immer gleich
Die alte Menschensippe!”
Sie reckt empor sich hoch und bleich
Und schärft aufs neu die Hippe.

Was soll ich sagen? Und sie wiederholt sich doch, die Geschichte. Die Beschreibung passt damals wie heute. Wer das Gedicht geschrieben hat, ist leider nicht bekannt, lediglich die Initialen A.I. sind überliefert.

Diese Karikatur von Fritz Boscovits (1871 – 1965), der den “Nebelspalter” mit begründet hatte, erschien zu dem Gedicht “Die Grippe und die Menschen”.