Die Grippe und die Menschen

“Die Geschichte ist eine ewige Wiederholung.” Das wusste schon rund 400 Jahre vor Christus der griechische Historiker Thukydides, auch wenn das bis heute immer wieder gerne bestritten wird. Ein signifikantes Beispiel aus jüngerer Zeit belegt ein Gedicht, was mir jetzt in die Hände gefallen ist, aber bereits vor über 100 Jahren veröffentlicht wurde. Erschienen ist es 1920 in der schweizerischen Satire-Zeitschrift “Nebelspalter” und beschreibt die Zeit der Spanischen Grippe von 1918 bis 1920, als wenn es ein Blick in die Zukunft der Jahre 2020 und 2021 mit dem Corona-Virus wäre:

“Die Grippe und die Menschen”

Als Würger zieht im Land herum
Mit Trommel und mit Hippe,
Mit schauerlichem Bum, bum, bumm,
Tief schwarz verhüllt die Grippe.

Sie kehrt in jedem Hause ein
Und schneidet volle Garben –
Viel rosenrote Jungfräulein
Und kecke Burschen starben.

Es schrie das Volk in seiner Not
Laut auf zu den Behörden:
“Was wartet ihr? Schützt uns vorm Tod –
Was soll aus uns noch werden?

Ihr habt die Macht und auch die Pflicht –
Nun zeiget eure Grütze –
Wir raten euch: Jetzt drückt euch nicht.
Zu was seid ihr sonst nütze!

‘s ist ein Skandal, wie man es treibt.
Wo bleiben die Verbote?
Man singt und tanzt, juheit und kneipt.
Gibt’s nicht genug schon Tote?”

Die Landesväter rieten her
Und hin in ihrem Hirne.
Wie dieser Not zu wehren wär’,
Mit sorgenvoller Stirne:

Und sieh’, die Mühe ward belohnt.
Ihr Denken ward gesegnet:
Bald hat es, schwer und ungewohnt,
Verbote nur so geregnet.

Die Grippe duckt sich tief und scheu
Und wollte sacht verschwinden –
Da johlte schon das Volks aufs Neu’
Aus hunderttausend Münden:

“Regierung, he! Bist du verrückt –
Was soll dies alles heißen?
Was soll der Krimskrams, der uns drückt,
Ihr Weisesten der Weisen?

Sind wir den bloß zum Steuern da,
Was nehmt ihr jede Freude?
Und just zu Fastnachtszeiten – ha!”
So gröhlt und tobt die Meute.

“Die Kirche mögt verbieten ihr,
Das Singen und das Beten –
Betreffs des andern lassen wir
Jedoch nicht nah uns treten!

Das war es nicht, was wir gewollt.
Gebt frei das Tanzen, Saufen.
Sonst kommt das Volk – hört, wie es grollt,
Stadtwärts in hellen Haufen!”

Die Grippe, die am letzten Loch
Schon pfiff, sie blinzelt leise
Und spricht: “Na endlich – also doch!”
Und lacht auf häm’sche Weise.

“Ja, ja – sie bleibt doch immer gleich
Die alte Menschensippe!”
Sie reckt empor sich hoch und bleich
Und schärft aufs neu die Hippe.

Was soll ich sagen? Und sie wiederholt sich doch, die Geschichte. Die Beschreibung passt damals wie heute. Wer das Gedicht geschrieben hat, ist leider nicht bekannt, lediglich die Initialen A.I. sind überliefert.

Diese Karikatur von Fritz Boscovits (1871 – 1965), der den “Nebelspalter” mit begründet hatte, erschien zu dem Gedicht “Die Grippe und die Menschen”.

So schön kann Berlin sein

Nach den grauen Tagen war dieser Sonntag eine Erlösung: Sonne satt und ein makelloser blauer Himmel erhellten die Gemüter. Da hielt es niemanden mehr zu Hause. Auch Oma und ich haben unserem Cabrio eine kleine Ausfahrt gegönnt und eine kleine Stadtrundfahrt gemacht. Coronoakonformer als im Auto ging es nicht. Was soll ich sagen? Wenn jetzt noch die Terrassen geöffnet sein dürfen und man hier und da verweilen kann, ist nicht nur den Gastronomen geholfen, sondern auch den mittlerweile geschundenen Gemütern.

Auch nicht mehr das, was er war

Der Politische Aschermittwoch ist auch nicht mehr das, was er einmal war. 1953 von der CSU im niederbayerischen Vilshofen erstmals durchgeführt, wurde er von keinem Politiker so geprägt wie von dem bajuwarischen Urgestein Franz Josef Strauß, Gott hab ihn selig. Der spätere CSU-Chef polterte, was das Zeug hielt, und rechnete im „Wolferstetterkeller“ gnadenlos mit dem politischen Gegner ab, wobei keine Auge und vor allem keine Kehle trocken blieb. Die Deutsche Welle zitierte den Altmeister des Politischen Aschermittwochs über den „Geist von Vilshofen“ wie folgt: “So etwas hinterwäldlerisch, altertümlich, etwas Bierdunst und der Qualm von Virginias, selbstverständlich eine etwas, sagen wir mal, zurückgebliebene Bevölkerung, die einem primitiven Redner ihren Tribut spendet, was soll sie auch sonst tun: so erschien doch jahrelang das Wort Vilshofen. Das hat uns aber nicht abgeschreckt, möchte ich gleich sagen.” SPD, FDP und später die Grünen waren Hauptzielscheiben seiner verbalen Keulenschläge. Die SPD-Genossen verglich er einmal mit Christoph Kolumbus: „Auch er hat nicht gewusst, woher er kam, er hat nicht gewusst, wohin er fuhr, als er ankam, hat er nicht gewusst, wo er war, als er zurückkam, konnte er nicht sagen, wo er gewesen war.“ Das Zitat stammt aus 1977, zwei Jahre nachdem Vilshofen zu klein geworden und die CSU nach Passau in die Nibelungenhalle umgezogen war. Wer, wie ich, das Vergnügen hatte, dieses politische Spektakel auch live zu erleben, wird sich erinnern: Der Unterhaltungswert war und blieb ausgesprochen hoch. Ein paar Kostproben gefällig: “Von Viertel-Intellektuellen lassen wir uns nicht vormachen, was Intelligenz ist.” “Die SPD/FDP-Regierung, die auszog, Deutschland zu reformieren, in Wahrheit aber einen riesigen Saustall angerichtet hat.” “Weg mit den roten Deppen.” “Lassen sie sich von diesen Rattenfängern nicht einfangen.” “Grüne Ideen gedeihen nicht in den Quartieren der Arbeiter. Sie gedeihen in den Luxusvillen der Schickeria.” Und dem SPD-Kanzlerkandidaten Johannes Rau attestierte er: “Das Kanzleramt und das Kanzlerhemd ist ihm um drei Halskragennummern zu groß“, um zu ergänzen: “Der kann seine Füße in den Kanzlerkandidatenschuhen umdrehen, ohne dass die Richtung der Schuhe verändert wird.” Aber das alles war einmal. Der Politische Aschermittwoch heute: Alles virtuell, ohne Bierzelt, ohne Menschen, ohne Bier und ohne Stimmung. Corona lässt grüßen. Was soll ich sagen? Vor allem, was würde Franz Josef Strauß sagen? Dem würde es vermutlich die Sprache verschlagen und er würde sich, wie er es einmal über Kurt Schumacher und die SPD geäußert hat, „im Grabe wie ein Ventilator drehen, wenn er sehen könnte, wie seine Nachfolger sein geistiges Erbe verwalten.”

Was würde Franz Josef Strauß dazu sagen? Die Ankündigung der CSU für ihren ersten virtuellen Politischen Aschermittwoch am 17. Februar 2021. (Screenshot von der Webseite der CSU)

Pandora friert sich den Po ab

Die Pandora, auf Geheiß von Zeus aus Lehm geschaffene und mit verführerischen Reizen ausgestattete Schönheit, auf der Terrasse vor unserem Büro friert sich zur Zeit – trotz weißen Schals und weißer Mütze den entblößten Po ab. Gekleidet ist sie wahrlich nicht für diese Temperaturen. Aber wenigsten ist, so der berechtigte Hinweis von Oma, die Büchse der Dame, die alle Übel der Welt sowie die Hoffnung, die im Falle des Falles eben nicht entweicht, so zugefroren, so dass sie keiner öffnen kann. Was soll ich sagen? Da kommt mir doch sofort Friedrich Nietzsche in den Sinne, der, zugegebenermaßen etwas pessimistisch, meinte: “Hoffnung ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.” Irgendwie passt dieses Zitat zur gegenwärtigen Pandemie wie die Faust aufs Auge. Am Mittwoch, wenn Angela Merkel und Co. die Verlängerung des Lockdowns verkünden, erfährt Nietzsches Aussage einmal mehr ihre Bestätigung.

Hat auch auch schon wärme Tage gesehen: Die Pandora vor unserem Büro.

Sie wissen nicht, was sie tun

Unser jüngster Enkel, der in diesem Jahr zum Teenager avanciert, hat jüngst Post von der Bundesregierung bekommen. “… die Corona-Pandemie schränkt unser aller Alltag ein”, heißt es da. Und weiter geht es: “Ganz besonders gilt das für diejenigen, für die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf besteht. Deshalb hat die Bundesregierung beschlossen, Ihnen einmalig 15 Schutzmasken mit hoher Schutzwirkung gegen eine geringe Eigenbeteiligung zur Verfügung zu stellen.” Und in der Tat: Beigefügt waren zwei Berechtigungsscheine für jeweils sechs Schutzmasken. Unser kleiner Mann hat sich natürlich gefreut, aber auch gefragt, inwiefern er denn “ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf” haben sollte. Soviel wie er und auch ich wissen, ist er pumperlgesund und topfit. Aber seine Krankenkasse, die von der Bundesregierung gebeten worden war, das Schreiben an ihn zu senden, “um Sie über das Nähere schnell und zuverlässig zu informieren”, wird schon einen Grund haben, warum sie ihn ausgewählt hat, während der eine oder andere alters- bzw. krankheitsbedingte Risikopatient noch auf seine Masken wartet. Was soll ich sagen? Nicht nur angesichts des Hinweises, dass “die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) weiterhin besonders wichtig” bleiben, war dieser Brief ein ganz besonderes Aha-Erlebnis. Denn ein solches ist laut Wikipedia ein vom deutschen Psychologen Karl Bühler geprägter Begriff aus der Psychologie, der das schlagartige Erkennen eines gesuchten, jedoch zuvor unbekannten Sinnzusammenhanges bezeichnet. Und der kann ja wohl nur sein: Sie wissen nicht, was sie tun.