Toleranz: Versuch einer Erklärung

Es ist schon ein beachtliches Unterfangen, mit einem Dreijährigen zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin zu gehen und zu versuchen, ihm zu erklären, was es mit den 2.711 Stelen auf sich hat. Und doch haben es meine jüngste Tochter und ihr Mann getan und sind mit unserem jüngsten Enkel zu der zentralen Holocaustgedenkstätte Deutschlands gegangen, die im Zentrum Berlins an die bis zu sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust erinnert. Aber wie erkläre ich einem so kleinen Kind etwas, das so schrecklich ist, dass selbst Erwachsene Schwierigkeiten haben, das ganze Ausmaß dieser Gräueltaten zu begreifen? Ich glaube, dies über die in kindgerechten Worten gehaltene Mahnung zu selbstverständlicher Toleranz gegenüber allen seinen Mitmenschen zu tun, war und ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich das Sinnvollste gewesen. Was soll ich sagen? Der Architekt Peter Eisenman, von dem der Entwurf für das Denkmal stammt, hat sich einmal dazu geäußert, wie man das Stelenfeld deuten kann: „Das Ausmaß und der Maßstab des Holocaust machen jeden Versuch, ihn mit traditionellen Mitteln zu repräsentieren, unweigerlich zu einem aussichtslosen Unterfangen. […] Unser Denkmal versucht, eine neue Idee der Erinnerung zu entwickeln.“ So gesehen haben meine Tochter und ihr Mann, denke ich, genau das Richtige getan.

IMAG1709                                             Unbegreiflich – nicht nur für den kleinen Mann.

Alle fallen durch

Bei der Lektüre seiner Morgenzeitung muss man mittlerweile wirklich vorsichtig sein. Jedenfalls erschrecke ich mich zuweilen so, dass mir die Kaffee- bzw. Teetasse aus der Hand fällt. In der letzten Woche war es wieder einmal soweit. Originalton “Tagesspiegel”: “Der Senat hat die Hürden für Schulabschlüsse gesenkt. Sowohl die Berufsbildungsreife – der frühere Hauptschulabschluss – als auch der Mittlere Schulabschluss sind ab diesem Schuljahr leichter zu erreichen, als es bisher an den Gesamtschulen möglich war. Zudem kann man mit schlechteren Noten in die gymnasiale Oberstufe aufsteigen.” Als Aprilscherz wäre das ja richtig gut gewesen. Aber leider war es bittere Realität. Auf den ersten Blick mag das für die Schüler ja ganz attraktiv sein. Doch bei näherem Hinsehen erweist sich dieser bildungspolitische Taschenspielertrick als ziemlicher Bumerang, der die Schüler noch böse treffen wird. Denn wer mit einer Berufsqualifizierung, die mehr Schein als Sein ist, auf dem Arbeitsmarkt antritt, wird noch sein blaues Wunder erleben. Immer mehr Betriebe konzipieren nach Angaben der IHK bereits eigene Aufnahmetests, um die Eignung der Bewerber festzustellen. Wer nach solch einem Test dann in die Röhre schaut und sich statt in seinem Traumjob im Albtraum Jobcenter wiederfindet, kann sich ja bei den Bildungspolitikern bedanken, die mit dieser Reform dazu noch ein System geschaffen haben, das so kompliziert ist, dass es eine Handreichung von 80 Seiten plus 30 Seiten Anlage benötigt, um wenigstens einigermaßen verstanden zu werden. Was soll ich sagen? Aus einem hoffnungsvollen “Alle kommen durch” wird am Ende ein ziemlich ernüchterndes “Alle fallen durch”. Das Gegenteil von “gut gemeint” ist eben “schlecht gemacht”.

Fast wie Geschwister

Unsere beiden Enkel sind mittlerweile so oft zusammen, dass sie fast wie Geschwister aufwachsen. Zwar fehlen die täglichen Reibereien gemeinsamen Wohnens, aber die beiden Buben arbeiten sich schon ausreichend aneinander ab. So waren sie jüngst wieder einmal gleichzeitig bei uns und spielten miteinander. Und wie das so ist, wollte der Ältere bestimmen, wo es langgeht. Als dessen Mutter dann aber dem Kleinen zur Seite sprang und meinte: „Du musst aber nicht alles machen, was er sagt“, empörte sich ihr Sohn: „So geht aber das Spiel.“ Was soll ich sagen? Fast gelebte Demokratie, frei nach dem Motto: Bei mir kann jeder machen, was ich will.

IMG_0051                                                                             Fast wie Geschwister.

Uri ist nicht vergessen

Uri, meine vor knapp einem Jahr im Alter von 92 Jahren verstorbene Mutter, ist nicht vergessen. Auch und vor allem unsere Enkelsöhne kommen immer wieder auf sie zu sprechen. In der Silvesternacht beispielsweise sorgte sich der eine, sie könnte durch die vielen Raketen erschreckt werden. Der andere freut sich ob eines bevorstehenden Fluges schon darauf, ihr im Himmel sozusagen hallo sagen zu können. Auch interessiert die beiden sehr, wie und wo sie denn genau ist. Da fallen die Antworten manchmal nicht leicht. Auf der einen Seite will man die Kinder nicht belügen, auf der anderen Seite sollen die Antworten kindgerecht sein. Wer zu dem Thema mehr wissen will, dem kann vielleicht die Internetseite Kindertrauer weiterhelfen. Auch das Experteninterview auf einer Seite des WDR ist gegebenenfalls nützlich. Letztlich muss aber jeder für sich die eigenen Worte finden. Was soll ich sagen? Der Tod gehört zum Leben, so schwer das manchmal auch nachzuvollziehen ist.

Ein Brief an Eltern

Der Brief einer Grundschullehrerin aus Harburg an die Eltern ihrer Schülerinnen und Schüler erregt nach wie vor die Gemüter in Norddeutschland. In dem Schreiben hatte sich die 46-jährige Pädagogin über das schlechte Benehmen ihrer Erstklässler und die diesbezügliche mangelnde Unterstützung der Mütter und Väter beschwert. Sicherlich ist es nicht unproblematisch, bei solch einem emotional aufgeladenen Thema zu pauschalisieren. Und hilfreich ist sicherlich auch nicht, dass diese Diskussion jetzt öffentlich über die Medien geführt wird. Ich will mich dort auch gar nicht einmischen. Als Lesepate an einer Grundschule, an der ich fünf Jahre lang eine ganze Klasse bis zu deren Wechsel in die weiterführenden Schulen betreut und jede Woche zwei Stunden Regelunterricht gegeben habe, kenne ich aus eigenem Erleben das Verhalten der Schüler, die Einstellung vieler Eltern und die manchmal verzweifelten Versuche der Lehrerinnen und Lehrer, den Boden unter den Füßen nicht ganz zu verlieren. Was soll ich sagen? Ein gewisses Verständnis für die Harburger Lehrerin habe ich schon.

Ein ziemlich scharfes Bild

Besonders in der Vorweihnachtszeit können Kinder ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Da gibt es über die üblichen Spielsachen hinaus jede Menge zusätzlicher Möglichkeiten, in die eine oder andere Rolle zu schlüpfen. So hat beispielsweise unser jüngster Enkel bei uns erst kürzlich die beiden Nussknacker entdeckt und bewusst wahrgenommen, die vor dem Kamin Wache stehen. Und die haben ihn so fasziniert, dass er Opa gleich zum Spielen animiert hat. Ganz aus dem Häuschen war er dann, als er mit dem großen Nussknacker in die Opa-Rolle schlüpfen durfte und ich mit der kleinen Figur zwangsläufig die Enkel-Rolle übernehmen musste. Was soll ich sagen? Wie gut, dass ich immer liebevoll mit unseren Enkel umgehe. Denn der Spiegel, den man bei diesen Rollenspielen vorgehalten bekommt, zeichnet ein ziemlich scharfes und genaues (Selbst-)Bild.

IMG_0901                                                                       Bestens geeignet für Rollenspiele.

Nie mit Fremden mitgehen

Es ist offensichtlich gar nicht so einfach, Kindern zu erklären, dass sie nicht mit Fremden mitgehen sollen. Wie wir, Oma und ich, das mit unseren gemacht haben, weiß ich gar nicht mehr. Aber wir erleben gerade die ersten Versuche unserer jüngsten Tochter und ihres Mannes. Der warnte vor nicht allzu langer Zeit seinen Sohn, dass er niemals mit fremden Leuten mitgehen dürfe. „Denn ansonsten stehlen die dich und sperren dich vielleicht in den Keller, und du darfst nie wieder Mama und Papa sehen“, fügte er vorsorglich hinzu: „Also niemals mit Fremden mitgehen, und ansonsten so laut schreien wie du kannst.“ Wenig später kam der Kleine zu seiner Mutter und sagte ganz stolz. „Mama, guck mal, hab ich ganz alleine gebaut.“ Sie: „Ach, eine Polizeistation, und das ist sicher das Gefängnis.“ Er: „Nein, da liegen alle im Keller, weil sie mit Fremden mitgegangen sind …“  Was soll ich sagen? So werden Geschichten verarbeitet. Was der Arme wohl in der Nacht geträumt hat?

KellerkleinKein Gefängnis, sondern ein Keller mit denen, die mit Fremden mitgegangen sind.

Schnulleraffe statt Schnullerfee?

Die Schnullerfee hat jetzt Konkurrenz bekommen. Eine Bekannte von uns war jüngst mit ihrer Tochter bei ihrer Schwester in Stuttgart. Bei einem Besuch des dortigen Zoos, der Wilhelma, mahnte sie noch ihre kleine Tochter, auf ihren Schnuller achtzugeben und ihn nicht zu verlieren. Bei den Affen wiederholte sie diesen Hinweis und meinte explizit: “Pass auf, dass er nicht ins Gehege fällt.” Dass muss die Kleine irgendwie missverstanden haben, nahm ihren Schnuller aus dem Mund und warf ihn in die Affenbehausung. Als sich der nächstbeste Affe den Schnuller schnappte und sogleich in den Mund steckte, staunten sie und ihre Mutter nicht schlecht. Nur hatte Letztere jetzt ein Problem: Ihr fehlte nämlich ein Ersatzschnuller. Als dann hiernach das erste Mal der Ruf nach dem beruhigenden Nuckelteil ertönte, fiel ihr nichts Besseres ein, als ihre Tochter darauf hinzuweisen, dass das Objekt der Begierde nunmehr bei dem Affen sei. Und zu ihrem Erstaunen wurde das sogar akzeptiert. Seitdem reicht, wenn die Kleine wieder nach dem Schnuller verlangt, der Hinweis, dass sie den doch dem Affen geschenkt habe. Was soll ich sagen? Wenn das Schule machen sollte, wird bald nicht mehr von der Schnullerfee die Rede sein, sondern vom Schnulleraffen. Hört sich aber irgendwie komisch an – oder?

Wutanfälle, eine Herausforderung

Welche Eltern kennen das nicht: Der zwei bis dreijährige Nachwuchs rastet vollkommen aus, schreit, schmeisst, tritt und wirft um sich – eine Herausforderung. Der Ausbruch eines Vulkans erscheint dagegen fast harmlos. Brigitte MOM hat sich dankenswerterweise des Themas angenommen. Auf der Webseite des Magazins kommen sieben Mütter und Väter zu Wort und berichten über ihre diversen Strategien. Das Kitzelmanöver von Henning Hönecke hat Opa besonders gut gefallen. Dabei waren es vor allem zwei Sätze, die sich alle leidgeprüften Eltern merken sollten: “Einem Zweijährigen den Wutanfall zu verbieten ist ebenso sinnvoll wie ein Quakverbot für Frösche.” – “Ein Kleinkind kann besser mit Brokkoli werfen als sagen, dass es sich vernachlässigt fühlt.” Was soll ich sagen? Wir Großeltern haben es da gut. Bei uns finden diese Wutanfälle in aller Regel nicht statt. Denn wir haben die Ruhe und Gelassenheit, uns eigentlich permanent ganz und gar auf die Kinder einzulassen. Die wenigsten Eltern können sich diesen Luxus heute noch leisten.

Ich liebe Cordula Stratmann …

Ich liebe Cordula Stratmann, … Nicht wirklich natürlich. Sondern nur so, wie es bei dem Werbeslogan einer großen Fastfoodkette gemeint ist. Also noch einmal: Ich liebe Cordula Stratmann, seit ich sie das erste Mal im Fernsehen als Annemie Hülchrath gesehen habe. Und die Liebe hielt auch an, als sie in der Schillerstraße mitmachte. Dann, mit der Geburt ihres Sohnes Emil im Jahr 2006, wurde es etwas ruhiger um die Frau, die für ihr komödiantisches Können u.a mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Deutschen Comedypreis, der Goldenen Kamera und dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde. Warum ich all das hier erwähne? Weil die studierte Sozialarbeiterin ein ausgesprochen realistisches Familienbild hat und das auch lebt, was sie sagt. Und deshalb kann ich auch nur jeder Mutter und jedem Vater empfehlen, das Interview zu lesen, das sie dem Tagesspiegel in Berlin gegeben hat. “Mit der Ankunft eines Kindes muss sich im Leben beider Eltern eine Veränderung einstellen”, sagt sie dort und antwortet auf die Frage “Wenn der Kuchen spricht, schweigen die Krümel?” schlicht und ergreifend mit: “Ja!” Das entlaste Kinder ungemein. Wenn Eltern sich vor klaren Autoritätsverhältnissen drückten, tue das keinem Kind gut. Und es gibt noch weitere lesenswerte Aussagen. Was soll ich sagen? Nach diesem Interview liebe ich Cordula Stratmann noch mehr.