Nicht einfach, die Welt zu retten

Man stelle sich einmal folgendes Szenario vor: 90.000 Menschen aus ganz Deutschland machen sich auf den Weg, um sich an einem Tag, der einzig allein dafür da ist, die Welt zu einem zukunftsfähigeren Ort zu gestalten, im Olympiastadion in Berlin zu versammeln. „Wow!“, denkt der Laie und der Fachmann wundert sich. Denn dass das nicht zum Nulltarif zu haben ist, sondern kostet, versteht sich ja von selbst. Deshalb denken die Initiatoren groß und haben, um diesen 12. Juni 2020 zu finanzieren, ein Crowdfunding-Projekt gestartet, das 4,5 Millionen Euro einsammeln will. Schließlich geht es ja um nicht mehr und nicht weniger, als die Welt zu retten. Über 400.000 Euro sind schon zusammen gekommen. Wer noch mitmachen will, kann das noch tun. Ab 29,95 Euro ist man dabei, wobei nach oben keine Grenzen gesetzt sind. Eine Grenze gibt es aber doch: 1,8 Millionen, die man für das Obergönner*in-Ticket hinblättern muss, das es allerdings nur einmal gibt. Wer also Interesse hat, sollte sich beeilen. Denn gutes Karma ist einem gewiss. Wie allerdings die Welt nun gerettet wird, erschließt sich mir noch nicht. Denn allein die Anwesenheit bewirkt noch gar nichts. Und auch die geplanten Online-Petitionen verursachen zunächst einmal nur Elektrosmog. Wenn man dann noch bedenkt, wie viel Müll 90.000 Menschen überhaupt produzieren können, werden die Bedenken immer stärker. Denn irgendwie müssen diese Menschenmassen ja auch nach Berlin kommen. Und das alle mit dem Fahrrad fahren, glaubt selbst Greta Thunberg vermutlich nicht. Was soll ich also sagen? Es ist wahrlich nicht einfach, die Welt zu retten. Vielleicht ist es ja hilfreich, einmal klein zu denken, so ganz nach dem Motto: Wer die Welt verändern will, muss bei sich selbst anfangen. Das ist zwar nicht besonders spektakulär, aber vermutlich wirksamer, als 90.000 Menschen im Berliner Olympiastadion. Oma und ich jedenfalls haben schon damit angefangen.

#WirGebenKeineRuhe

Der Tagesspiegel in Berlin hat heute eine Beilage veröffentlicht, die mich nachdenklich macht. #WirGebenKeineRuhe lautet ihr Titel, der auch über der Themenseite im Internet steht, und spricht sich für ein gutes Miteinander und gegen Antisemitismus aus. Es ist, das war zumindest mein erster Gedanken, traurig, dass es so eine Beilage überhaupt braucht. Aber angesichts des alltäglichen Irrsinns, in dem sich Antisemitismus heute manifestiert, erscheint sie notwendiger denn je. Beschrieben hat den Judenhass in Deutschland tags zuvor in der Welt Springer-Chef Mathias Döpfner – und das in eindrucksvollen wie bewegenden Worten. “Ich wünschte, wir hätten gelernt” ist der Text überschrieben, mit dem er sich als Rede für die Auszeichnung mit dem Preis für Menschlichkeit bedankt hat. Was soll ich sagen? Beilage und Redetext sind absolute Pflichtlektüre. Und wer danach immer noch nicht vom Fremdschämen geplagt wird, dem ist wirklich nicht zu helfen. Ich jedenfalls schäme mich, dass es im Deutschland des Jahres 2019 das alles schon wieder bzw. noch immer gibt. Ja, auch ich wünschte, wir hätten gelernt. So traurig es auch ist: Aber wir haben nicht. Deshalb: Auch ich gebe keine Ruhe.

Absolute Pflichtlektüre: Tagesspiegel-Beilage für ein gutes Miteinander und gegen Antisemitismus.

Web Design

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Das Buch wird dem Anspruch seines Autors gerecht. „Dieses Buch war in seinem ersten Entwurf über 1.400 Seiten lang. Während TASCHEN durchaus in der Lage ist, ein Buch dieser Größe aufzulegen, wollten wir beide, Julius Wiedemann von TASCHEN und ich, dass es ein Buch wird, das man einfach in die Hand nehmen kann, ein Buch, das ein Lehrer in der Klasse hochhalten kann und auf das Studenten ganz leicht zugreifen können. Es sollte auch ein Buch sein, das einige Leser als Bezug auf ihr Leben sehen würden, da es ihnen eine völlig neue Richtung gegeben hat. Es sollte auch ein Buch werden, das einen eigenen Platz in der Geschichte verdient – als eine Momentaufnahme einer revolutionären Ära“, schreibt Rob Ford in seiner Einleitung. Und mehr noch: Web Design. The Evolution of the Digital World 1990–Today ist, wie es Lars Bastholm in seinem Vorwort beschreibt, „so nah an einer ‚offiziellen‘ Geschichte, wie es wahrscheinlich kein anderes sein könnte.“ Ich habe zwar mit Webdesign in meinem Leben weniger zu tun gehabt als manch anderer meiner Zeitgenossen, aber in diesem Buch finde ich mich doch oft genug wieder. Dieser Blick in die Vergangenheit, der bis in die Gegenwart reicht, lässt auch mein Leben am Schreibtisch und im Web Revue passieren. Was soll ich sagen? Ach, das ist Nostalgie pur. iMac, iBook, der iPod, MacBook, iPhone, iPad, MacBook Air auf der Hardware-Seite – MPEG-4, RSS, XHTML, Internet Explorer 6, Firefox, Windows XP, HTML5, AdobeCreative Cloud, Apple Pay auf der Software-Seite. Und, und, und. Und um es mit Rob Ford abzuschließen: We no longer say we are ‚online‘ in the same way that we don’t say we are breathing; it’s life.

Rob Ford, Julius Wiedemann, Web Design.
The Evolution of the Digital World 1990–Today, Taschen, Köln, 2019, 640 Seiten, 40,00 Euro, ISBN 978-3-8365-7267-5