Auf den Spuren meines Opas

Alles wiederholt sich nur im Leben,
Ewig jung ist nur die Phantasie;
Was sich nie und nirgends hat begeben,
Das allein veraltet nie!

So lauten die vier letzten Zeilen von Friedrich Schillers Gedicht “An die Freunde”. Ich will dem großen deutschen Dichter und Denker ja nicht widersprechen, aber nach meiner unmaßgeblichen Meinung kann man darüber durchaus streiten. Denn veraltet ist Bergwandern noch lange nicht, ganz im Gegenteil: Es ist angesagt wie schon lange nicht mehr. Jedenfalls sind unsere beiden Enkel wacker mit uns durchs Allgäu gestiefelt, so, wie es mein Großvater schon mit mir gemacht hat. Allerdings waren angesichts der Tatsache, dass sie heute schon ein paar Jährchen älter sind, als ich es seinerzeit war, unsere Touren etwas weiter und umfangreicher gewesen. Entsprechend ausgerüstet sind wir am Fuße des Rubihorns gewandert, vom Söllereck hinab gestiegen, am Gipfelkreuz des Nebelhorns gewesen, haben am Heuberg Brotzeit gemacht und den Gipfel des Fellhorns erklommen. Für eine Woche ein sportliches Programm, das nachmittags mit einem Besuch des Fischinger Freibades belohnt wurde. Und die Sonne strahlte mit uns um die Wette. Was soll ich sagen? Als Allgäuer soag I: Mei isch des schea wenn’s schea isch!

Als ich noch Kind war

Dieser Tage habe ich ein Erlebnis gehabt, dass mich einmal mehr zu einer der interessantesten Fragen des Menschseins gebracht hat. Ich ging hinter einer Gruppe von drei Mädchen, die etwa im Alter von zwölf Jahren waren und sich lebhaft unterhielten. Ich weiß nicht worum es ging, konnte aber ein Paar Wortfetzen aufschnappen, bei denen mir unwillkürlich ein Lächeln über das Gesicht huschte und die da lauteten: “… als ich noch Kind war …” Gewiss, der Gedanke an sich ist nicht neu. Der 2016 verstorbene Schauspieler Hilmar Thate beispielsweise verfasste 2006 ein Buch mit gleichnamigem Titel, lediglich ergänzt durch das vorangestellte Wort “neulich”. Auch ein Kinderbuch mit diesem Titel gibt es, das 2018 erschien und in dem eine Oma einen Blick zurück wirft. Sogar der vielfach ausgezeichnete österreichische Schriftsteller Peter Handke hat sich mit dem Thema beschäftigt, als das Kind Kind war. Nun handelt es sich bei den Autoren allesamt um etwas betagtere Menschen und nicht um zwölfjährige Mädels, deren Erfahrungshorizont naturgemäß begrenzt ist. Dennoch stellt sich die Frage, warum Menschen lieber nach hinten blicken als nach vorne. Vielleicht liegt es ja daran, dass, wie schon Karl Valentin wusste, heute die gute alte Zeit von morgen ist. Hinzu kommt, dass Prognosen eben schwierig sind, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen – wer auch immer dies nun wieder gesagt hat. Da hilft selbst der Blick zurück nicht, denn die Urheberschaft wechselt von dem gerade zitierten Valentin über Mark Twain, Winston Churchill und Kurt Tucholsky. Was soll ich sagen? „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten”, hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl einmal gesagt und damit sicher nicht unrecht. Aber erstens kommt es, zweitens anders und drittens als man denkt, lautet eine Volksweisheit, die nur noch übertroffen wird von der Erkenntnis: Morgen ist heute schon gestern. Insofern wird es dabei bleiben, dass der schönste Gedanke eben der ist, als ich noch Kind war. Belassen wir es einfach dabei.

Jetzt, bevor du stirbst

The Bucket List (Das Beste kommt zum Schluss) ist eine anrührende Geschichte von zwei Männern, die beide an Krebs erkrankt sind und alsbald den Löffel abgegeben werden. Diese Redewendung stammt übrigens aus dem Mittelalter, als die Leute bettelarm waren und sich schon wohlhabend fühlten, wenn sie einen Löffel – vielleicht sogar aus Metall – besaßen. Und wenn man eben diesen Löffel abgab, war das gleichbedeutend mit sterben. Die Löffelliste ist also eine Liste mit Dingen, die man in seinem Leben noch tun will, bevor man den Löffel abgibt. Normalerweise erstellt man so eine Liste selbst. Doch jetzt habe ich von einer guten Freundin erfahren, dass das auch ganz anders sein kann. Ihre Kinder nämlich haben angemahnt, sie solle unverzüglich – im Originalton: Jetzt, bevor du stirbst – deren Lieblingsrezepte aufschreiben. Nun ist es nicht so, dass sie alsbald mit dem Tode rechnen müsste. Aber die Kinder wollen offensichtlich auf Nummer sicher gehen. Was soll ich sagen? Die deutsche Sprache kann schon hart sein – ebenso die Jugend. Aus meiner Sicht als Großvater kann ich da nur empfehlen: Eile mit Weile oder Immer langsam mit den jungen Pferden.