Das Schöne an Krankenhäusern ist ja, dass man mal Zeit hat, Dinge zu tun, zu denen man ansonsten nicht kommt. So zum Beispiel sich von einem Freund besuchen zu lassen und mit ihm über dies und das zu plaudern, ohne Zeit- und Termindruck. Einfach herrlich! Und wenn dieser Freund dann noch ein Büchlein mitbringt, in dem man, wenn er gegangen ist, nach Herzenslust stöbern und lesen kann, ohne Zeit- und Termindruck. Einfach herrlich! Und wenn das Büchlein dann noch Textpassagen enthält, die absolut zeitlos sind, dass es gar keinen Zeit- und Termindruck geben kann, dann ist das einfach nur herrlich. Kleines Beispiel gefällig: „In einer Großstadt wie Berlin erhöht sich die Arbeitszeit schon durch die enorme Entfernung der Wohnung von der Arbeitsstätte, schon die morgendliche Fahrt in der überfüllten Straßenbahn ist Anstrengung, und die abendliche Heimkehr nimmt dem ausgepumpten Arbeiter den Rest seiner körperlichen und geistigen Kraft. Dabei gibt es Zehntausende, die keine Nachtruhe haben, denn der Verkehr zur Arbeitsstelle darf nicht stocken, in Zelten auf dem Fahrdamm werden die Schienen der Straßenbahn beschweißt, in den Tunnels der Untergrundbahn tauscht man die schadhaften Geleise aus, und auf den Landstraßen bessern Erdarbeiter mit Harke und Schippe den Boden aus, damit das Auto des aus seiner Villa kommenden Herrn nicht rüttle … Ein Kontrast? Es gibt ihrer mehr.“ Na, schon ein Idee, von wem der Text stammt? Klingt ja fast zeitgenössisch. Vielleicht hilft ja eine zweite Stelle weiter: „Hinter jedem Luxus steht die harte Arbeit jener, die niemals den Begriff Luxus kennen werden, hinter jeder prunkvollen Theatervorstellung, hinter jedem Ausstattungsfilm steht das Heer derjenigen, die sich um eines Hungerlohnes willen Tag und Nacht hin und her hetzen lassen müssen, deren Namen nicht einmal der kennt, der sie hin und her hetzt, geschweige denn das Publikum, das bewundernd den Namen seiner Lieblinge ausspricht, die „großen“, glänzend bezahlten Regisseure und die „großen“ Schauspieler und Schauspielerinnen.“ Immer noch keine Idee? Um es kurz zu machen: Der Text stammt von Egon Erwin Kisch, Aus dem Café Größenwahn (Berlin bei der Arbeit), aus dem Jahre 1927, gerade neu in 2. Auflage aufgelegt vom Verlag Klaus Wagenbach Berlin. Was soll ich sagen? Es hat sich doch nichts, aber auch gar nichts geändert. Und wenn es damals schon Blogs gegeben hätte, hätte Egon Erwin Kisch ganz sicher gebloggt. Und als Titel für den Blog wäre „Café Größenwahn“ auch prima gewesen.