Deutschland 2023!

Es sollte eine historische Mission werden. Doch es kam anders und demonstrierte einmal mehr, dass in Deutschland so ziemlich alles in die Hose gehen kann. Doch fangen wir von vorne an. Irgendwann Mitte Dezember 2022 machte eine Nachricht die Runde, von der noch im April des Jahres selbst Alexander Edenhofer, Pressesprecher der Deutschen Post, noch nichts wissen wollte: „Wir überprüfen regelmäßig, welche unserer Produkte wie rege nachgefragt werden und ziehen daraus die notwendigen Rückschlüsse“, erklärte er gegenüber der Zeitschrift Capital, als diese der Frage nachging, wie lange es in Deutschland wohl noch das Telegramm geben werde. Denn in Indien, Frankreich, Österreich, der Schweiz oder seit 2021 auch in Ungarn gibt es das Telegramm nicht mehr. Und auch in Deutschland waren viele der Dienstleistungen, die das Telegramm hierzulande einmal besonders machten, mit den Jahren dem Rotstift zum Opfer gefallen. Seit 2018 konnten Kunden ihren Gruß nicht mehr sonntags zustellen lassen oder ins Ausland schicken. Die einst große Auswahl bei den Schmuckblättern war auf fünf Motive geschrumpft. Insofern schien es Fachleuten nur noch eine Frage der Zeit, wann auch das Telegramm in Deutschland das Zeitliche segnen würde. Und tatsächlich, kurz vor Weihnachten kündigte die Deutsche Post an: Am Jahresende ist Schluss. Auf der Webseite heißt es jetzt: Das Produkt Telegramm wurde leider zum 31.12.2022 eingestellt, da die Nachfrage nach diesem Produkt auf Privatkundenseite in den letzten Jahren immer mehr gesunken ist. Das sollte sich so kurz vor Toresschluss noch einmal ändern. Wie offensichtlich andere auch kam ich auf die Idee, ein letztes Telegramm aufzugeben, sozusagen als Reverenz an eine altehrwürdige Institution. Also setzte ich mich an meinen Mac, rief die Telegramm-Seite im Webauftritt der Deutschen Post auf und gab den Text ein. 132 Zeichen umfasste die Nachricht, die ich an Oma und mich adressierte. Das Minitelegramm – ohne Schmuckblatt wohlgemerkt – kostete 12,90 €. Ein stolzer Preis, wenn man bedenkt, dass ein Brief nur 0,85 € kostet – und der wäre, wenn die Deutsche Post ihr Versprechen der Brieflaufzeit von E+1 (Einwurftag + 1 Werktag) gehalten hätte, bereits am nächsten Tag zugestellt worden. Mein Telegramm indes ließ auf sich warten. Am 31. Dezember jedenfalls klingelte der Postbote nicht, um das Telegramm persönlich zu übergeben. Auch am ersten Werktag nach dem Jahreswechsel, also am Montag, 2. Januar 2023, warteten wir vergebens. Auch die Sendungsverfolgung ließ uns lediglich wissen: Nichts Genaues weiß man nicht! Zwischenzeitliche Versuche, jemanden bei der Deutschen Post zu erreichen, scheiterten kläglich. Erst bei der Post-Pressestelle Berlin konnte ich einen Ansprechpartner finden, der mir zudem das Gefühl gab: Ich kümmere mich – und hat es auch getan. Heute dann überschlugen sich sozusagen die Ereignisse: Während der Postmann klingelte und Oma das Telegramm aushändigte und dabei eingestand, dass eigentlich niemand so genau gewusst habe, wie man mit einem Telegramm umgeht, erhielt ich von meinem Pressekontakt per E-Mail die Nachricht: „Ihr Telegramm befindet sich aktuell in der Zustellung. Wir bitten die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Kurz vorm Jahreswechsel gab es noch einmal einen Run auf Telegramme. Mutmaßlich hatten viele Kundinnen und Kunden die gleiche Idee wie Sie. In Einzelfällen hat dies zu Verzögerungen geführt. Sie sind betroffen.“ Was soll ich sagen? Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Jedenfalls war das Telegramm 3 Tage, 21 Stunden und 35 Minuten unterwegs – eine stattliche Zeit, wenn man an die Brieflaufzeit denkt. Aber das ist jetzt alles Geschichte. Und worauf konzentriert sich die Deutsche Post nach der Einstellung dieses fast 180 Jahre alten telegrafischen Nachrichtenkanals? Sie setzt „auf die Weiterentwicklung unserer erfolgreichen individualisierbaren Produkte, wie etwa die ‘Briefmarke Individuell‘“, offenbarte jüngst eine Postsprecherin dem ZDF. Okay: Digital war gestern. Es lebe die gute, alte, analoge Zeit. Deutschland 2023!

2 Gedanken zu „Deutschland 2023!

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