Das Innere der deutschen Seele

Man erliegt ja angesichts der sich gerade nahezu täglich überschlagenden Ereignisse zuweilen dem (Irr-)Glauben, es könne alles nicht mehr schlimmer werden, und wird umgehend eines Besseren belehrt. Nur ein Beispiel: Mein letzter Post Raus aus der Komfortzone war gerade erst geschrieben und veröffentlicht, da kam schon die nächste Dampframme, mit der der von mir ansonsten hoch geschätzte Theo Koll in der Sendung „Maybrit Illner“ den Peinlichkeiten dieses Tages die Krone aufsetze. In der Mitte der Sendung fragte der Moderator den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk allen Ernstes: „Gibt es für Ihr Land eine Grenze an zivilen Opfern, die sie bereit sind in Kauf zu nehmen?“ In einer Kneipe hätte sich der Fragesteller von seinem Gegenüber vermutlich eine veritable Schellen eingefangen. Doch der Botschafter blieb cool und ließ Koll elegant abblitzen: „Diese Frage ist so zynisch, dass ich keine Antwort darauf geben werde.“ Gleichzeitig verwies er zu Recht darauf: „Putin und Russland sind für die zivilen Opfer verantwortlich und nicht wir.“ Und dann stach er sozusagen mit dem Florett tief in die deutsche Seele: „Wir werden unseren deutschen Freunden nicht den Gefallen tun und uns ergeben, damit sie die schrecklichen Bilder nicht mehr ertragen müssen.“ Als wäre all das nicht schon schlimm genug, insistierte der ZDF-Mann auch noch: „Das war nicht meine Frage.“ Was soll ich sagen? Hier hat sich nicht nur das wahre Gesicht eines über die Jahre völlig fehlgeleiteten Journalismus offenbart, sondern der tragische Zustand eines deutschen Grundverständnisses, für das die Freiheit keinen Wert an sich mehr darstellt. Allein die Idee der Fragestellung – Was muss noch passieren, damit Sie sich ergeben? – verwechselt nicht nur in fataler Weise Ursache und Wirkung, sondern ist an Respektlosigkeit gegenüber jedem bisherigen Kriegstoten nicht mehr zu überbieten. Würde sich die Ukraine jetzt bedingungslos ergeben, wäre jeder Gefallene und jedes zivile Opfer sinnlos gestorben. Es ist die Tragik unserer Zeit, dass sich diese Logik in Deutschland nur noch den Wenigsten erschließt.

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