Geschichtsluft geschnuppert

Der 9. November ist ein wahrlich geschichsträchtiger Tag: Fall der Berliner Mauer, Reichspogromnacht, Hitlerputsch und Novemberrevolution laden dieses Datum zu einem Schicksalstag der Deutschen auf. Da sollte man meinen, dass das für einen Tag an Ereignissen genug ist. Doch noch eine – im wahrsten Sinne des Wortes – Geschichte komplettiert die Historie dieses Novembertages auf ihre ganz besondere und eigene Art. Denn am 9. November 1989, just zu dem Zeitpunkt, als der damalige SED-Funtkionär Günter Schabowski die Worte „sofort, unverzüglich“ daherstammelte und damit eher beiläufig das Ende der Berliner Mauer verkündete, präsentierte der Juwelier Jens Lorenz keine zehn Kilometer entfernt eine von ihm entworfene Uhr, die mit ihrem Uhrwerk aus einem westfälischen Benediktiner-Kloster fast drei Meter hoch und 2,5 Tonnen schwer ist. Die Uhr trägt die Inschrift „Zeit sprengt alle Mauern“ und sollte damit ursprünglich ein Zeichen der Hoffnung auf die endliche Überwindung der Teilung der Welt in “Ost” und “West” sein. Damit wurde die Uhr zur Zeitzeugin ihres eigenen Anliegens und eben die Berliner Friedensuhr. Seitdem wird eine Replik dieser Uhr als Friedenspreis an Persönlichkeiten verliehen, die zur Überwindung von Mauern zwischen Rassen, Klassen, Völkern, Nationen, Kulturen, Ideologien, Konfessionen, Parteien und Menschen exemplarisch beigetragen haben. Gestern nun, am 9. November, hat eine Replik der Berliner Friedensuhr, mit der 2014 die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und die DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe ausgezeichnet worden waren, ihren endgültigen Platz in der Gedenkstätte gefunden. Die Vergabe war u.a. damit begründet worden, dass die Gedenkstätte im früheren zentralen Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit durch ihre tägliche Arbeit die früheren Gefängnismauern überwinde, hinter denen die Menschenrechte mit Füßen getreten worden seien. Sie reiße die Mauern nachträglich nieder und rehabilitiere damit die Opfer. Dass sich der Leiter der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, und Preisstifter Jens Lorenz darüber freuten, dass die Übergabe genau auf den Tag 26 Jahre nach dem Mauerfall und gleichzeitig der Geburtsstunde der Berliner Friedensuhr stattfinden konnte, versteht sich von selbst. Und dass Lorenz fünf Stunden später seine neuen Geschäftsräume in Berlin-Friedenau der Öffentlichkeit präsentieren konnte, rundete für ihn den Tag ab, der seit 1989 so untrennbar auch mit ihm verbunden ist. Was soll ich sagen? Opa ist dankbar, dass er Jens Lorenz den Tag über begleiten und damit ein wenig Geschichtsluft schnuppern durfte. Wie drückte das mal ein Fernsehsender aus: Mitten drin statt nur dabei.

UhrGedenkstätteHubertus Knabe (links) und Jens Lorenz mit der Replik der Berliner Friedensuhr, mit der die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und die DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe 2014 ausgezeichnet worden waren. Zu sehen ist sie nun im Eingangsbereich der Gedenkstätte.

IMG_1380Jens und Smita Lorenz bei der Neueröffnung ihres Geschäftes am 9. November 2015 vor dem Original der Berliner Friedensuhr, die untrennbar mit diesem Datum verbunden ist.

Geschichtsunterricht at its best

Es wird ja viel über das Fernsehen geschimpft. Und das oft auch zu Recht. Heute jedoch soll das Fernsehen ausdrücklich gelobt werden, namentlich das ZDF und seine wöchentliche Sendereihe ZDF-History. Vor allem der zuletzt ausgestrahlte Beitrag „Die Deutschen und Europa – Vom Schlachtfeld zur Union“ ist Geschichtsunterricht at its best – vor allem in diesen Tagen. Untermalt mit Hans Zimmers Filmklängen aus dem „Da Vinci-Code“ lauten die letzten anderthalb Minuten: „Menschen aus 19 Ländern zahlen inzwischen mit dem Euro. Die gemeinsame Währung soll verbinden – in guten wie in schlechten Zeiten. Doch hat die Euro-Krise die Solidarität strapaziert und manches alte Ressentiment wieder belebt – gerade gegenüber Deutschland. Aber nach Jahrhunderten der Konflikte sollte nicht das Geld über ein Europa entscheiden, das sich den Friedensnobelpreis verdient hat. Nach zwei Weltkriegen und vier Jahrzehnten kalter Krieg wurden aus einstigen Gegnern Partner. Heute fordert ein Machtkampf an den Grenzen Europas die Gemeinschaft heraus, das Ringen um die Ukraine. Deutschland kann vermitteln, doch nur mit dem Rückhalt der Union. Die Griechenlandkrise ist wie andere zuvor nur durch den gemeinsamen Rettungsschirm zu bewältigen. Hunderttausende Flüchtlinge strömen über EU-Grenzen vor allem nach Deutschland. Nur gemeinschaftlich lässt sich der weitere Zustrom steuern, die Verteilung der Asylsuchenden und ihre Integration. Auch das Europäische Parlament sucht nach Antworten: Wie weit trägt die Solidarität der Partner – untereinander und gegenüber anderen. Vor allem die Geschichte kann die Völker lehren, was sie heute an Europa haben: Die Chance, Herausforderungen miteinander zu bestehen – und nicht gegeneinander.“ Denn wer die 40 Minute davor gesehen hat, weiß, was wir zu verlieren haben. Was soll ich sagen? Wenn man etwas kritisieren will, dann den Umstand, dass eine solche Sendung am Sonntagabend bzw. Montagmorgen um 0.20 Uhr ausgestrahlt und gestern auch nicht gerade zu den zuschauerfreundlichsten Zeiten wiederholt wurde. Einzige Trost: In der ZDF-Mediathek kann sie noch abgerufen werden. Und das sollte man unbedingt tun, wenn man sie verpasst hat.

Geschichte einmal anders

“Wenn das heutige Deutschland so etwas hat wie einen Anger, eine Allmende, einen Platz für große Feste und Versammlungen, dann ist es wohl das Areal rund um das Brandenburger Tor. Seit langem ist dies die bevorzugte Szenerie für Treffen und Umzüge der Stadtbewohner, doch seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ist der strenge neoklassische Torbau zum selbstverständlichen Hintergrund aller großen nationalen Ereignisse geworden”, schreibt der schottische Kunsthistoriker Neil MacGregor in dem heute erschienenen Buch “Deutschland: Erinnerungen einer Nation”. Und mit diesem Brandenburger Tor beginnt er auch sein Geschichts-Puzzle, bei dem er Stück für Stück mit der Gutenberg-Bibel, Porzellan aus Dresden, deutschem Bier und deutscher Wurst, Goethe, Schneewittchen und Mutter Courage, der Krone Karls des Großen, einem Tauchanzug made in Ostdeutschland oder dem Tor von Buchenwald ein konsistentes Deutschland-Bild zusammenfügt. Sozusagen das letzte Puzzle-Teil ist Betty von Gerhard Richter, “Betty”, schreibt MacGregor am Ende des Buches, “lebt in einem Raum, der noch erfüllt ist von Werken ihres Vaters, auch wenn das Gemälde an der Wand hinter ihr im Dunkeln nicht mehr zu erkennen ist, so wie alle Deutschen in der Gegenwart der Taten ihrer Vorgänger leben – einer Präsenz, die zwar blasser wird, aber immer noch bestimmend ist. Was Betty von ihrem Vater und seiner Generation hält, was sie daraus macht, können wir nicht erkennen. Doch gleich wird sich diese junge Frau uns zuwenden – und der Zukunft.” Was soll ich sagen? Das ist Geschichte einmal anders als anders und absolut empfehlenswert. Wer mehr zu “Deutschland: Erinnerungen einer Nation” erfahren möchte, wird bei Opas Tests und Kritiken unter der Rubrik Bücher fündig.

IMG_0121Mit dem Brandenburger Tor beginnt Neil MacGregor sein Geschichts-Puzzle, mit dem er in dem heute erschienenen Buch unter dem Titel “Deutschland: Erinnerungen einer Nation” ein konsistentes Bild von Deutschland zusammenfügt. Absolut empfehlenswert.Deutschland_cover