Das Innere der deutschen Seele

Man erliegt ja angesichts der sich gerade nahezu täglich überschlagenden Ereignisse zuweilen dem (Irr-)Glauben, es könne alles nicht mehr schlimmer werden, und wird umgehend eines Besseren belehrt. Nur ein Beispiel: Mein letzter Post Raus aus der Komfortzone war gerade erst geschrieben und veröffentlicht, da kam schon die nächste Dampframme, mit der der von mir ansonsten hoch geschätzte Theo Koll in der Sendung „Maybrit Illner“ den Peinlichkeiten dieses Tages die Krone aufsetze. In der Mitte der Sendung fragte der Moderator den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk allen Ernstes: „Gibt es für Ihr Land eine Grenze an zivilen Opfern, die sie bereit sind in Kauf zu nehmen?“ In einer Kneipe hätte sich der Fragesteller von seinem Gegenüber vermutlich eine veritable Schellen eingefangen. Doch der Botschafter blieb cool und ließ Koll elegant abblitzen: „Diese Frage ist so zynisch, dass ich keine Antwort darauf geben werde.“ Gleichzeitig verwies er zu Recht darauf: „Putin und Russland sind für die zivilen Opfer verantwortlich und nicht wir.“ Und dann stach er sozusagen mit dem Florett tief in die deutsche Seele: „Wir werden unseren deutschen Freunden nicht den Gefallen tun und uns ergeben, damit sie die schrecklichen Bilder nicht mehr ertragen müssen.“ Als wäre all das nicht schon schlimm genug, insistierte der ZDF-Mann auch noch: „Das war nicht meine Frage.“ Was soll ich sagen? Hier hat sich nicht nur das wahre Gesicht eines über die Jahre völlig fehlgeleiteten Journalismus offenbart, sondern der tragische Zustand eines deutschen Grundverständnisses, für das die Freiheit keinen Wert an sich mehr darstellt. Allein die Idee der Fragestellung – Was muss noch passieren, damit Sie sich ergeben? – verwechselt nicht nur in fataler Weise Ursache und Wirkung, sondern ist an Respektlosigkeit gegenüber jedem bisherigen Kriegstoten nicht mehr zu überbieten. Würde sich die Ukraine jetzt bedingungslos ergeben, wäre jeder Gefallene und jedes zivile Opfer sinnlos gestorben. Es ist die Tragik unserer Zeit, dass sich diese Logik in Deutschland nur noch den Wenigsten erschließt.

Raus aus der Komfortzone

Es ist nur noch zum Fremdschämen. Da richtet der ukrainische Präsident im Deutschen Bundestag einen verzweifelten Hilferuf an die deutschen Parlamentarier, mitzuhelfen, den bestialischen Angriffskrieg Putins zu stoppen, und die haben danach nichts Besseres zu tun, als zur Tagesordnung überzugehen und über die Impfpflicht zu diskutieren – von den zwischenzeitlich verlesenen Geburtstagswünschen ganz abgesehen. Da fleht der ukrainische Botschafter quer über alle Medien und sonstigen Kommunikationskanäle verzweifelt um Beistand für sein vom Tod bedrohtes Volk und ein in seiner Bedeutungslosigkeit kaum zu übertreffender SPD-Staatssekretär im Bundesbauministerium namens Sören Bartol schreibt in einem Tweet, er „finde diesen ‚Botschafter‘ mittlerweile unerträglich“ und versieht das Ganze noch mit dem Hashtag „respektlosigkeit“. Da werden etwas über 1.000 Kilometer von Berlin entfernt ein ganzes Volk und ein ganzes Land in Schutt und Asche gelegt und in die Steinzeit zurückgebombt und Teile der Deutschen Politik tun sich immer noch schwer, genau hinzuschauen, die Dinge beim Namen zu nennen und einzusehen, dass ein Entgegenkommen Putin nur ermuntert, noch skrupelloser seinen imperialistischen Kriegszug fortzusetzen. Was soll ich sagen? Ich frage mich in diesen Tagen des Öfteren, wer in Deutschland überhaupt noch den Mumm aufbringen könnte und würde, sein Land so bravourös und tapfer zu verteidigen, wie die Ukrainer das gerade tun. Denn viele sitzen hierzulande gut gewärmt und gesättigt zuhause und verfolgen fast in Echtzeit mit einem gewissen Nervenkitzel das Grauen auf dem Sofa. Dabei wird dort die Freiheit – übrigens auch unsere – nicht verteidigt. Ich hoffe nicht, dass es erst das böse Erwachen ist, was vielen die Augen öffnet. Es ist für uns Deutsche an der Zeit, die Komfortzone zu verlassen und endlich die Verantwortung zu übernehmen, die die Welt von uns zu Recht schon seit Längerem einfordert. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es Deutschland insbesondere dem Westen zu verdanken gehabt, wieder zu einem geachteten wie wohlhabenden Mitglied der Weltengemeinschaft zu werden. Jetzt können und sollten wir uns dafür revanchieren. Einen besseren Zeitpunkt könnte es dafür nicht geben. Zeigen wir, dass wir den Ernst der Lage erkannt haben und bereit sind, das Notwendige zu tun. Das sind wir der Welt, aber auch unseren Kindern und Kindeskindern schuldig.

Paradies oder Hölle

Der Tagesspiegel in Berlin ist – getreu seinem Leitspruch „Rerum cognoscere causas“ – den Dingen mal wieder auf den Grund gegangen. In der heutigen Ausgabe (7. März 2022) geht es dabei um ein „Leben auf der Sonnenseite“, das sich laut dem Blatt viele Bundesbürger für ihren Ruhestand im Paradies wünschen. Da trifft es sich ja gut, dass man in einigen Ländern, so der Autor, „mit der deutschen Rente … größere Sprünge“ als zu Hause machen kann. Ein „Geheimtipp am Rande Europas“ dafür ist, man höre und staune, Georgien, das nach Ansicht nicht weniger Sicherheitsexperten durchaus auch als Appetithappen auf der Speisekarte des machthungrigen Wladimir Wladimirowitsch Putin steht. Während für den Tagesspiegel die Kaukasusrepublik „mit ihrer Küche, wahlweise subtropischem Schwarzmeerklima oder Bergluft, sehr günstigen Mieten, Steuerfreiheit für Einkünfte wie Renten aus dem Ausland und einfach zu erhaltendem Visum“ lockt, haben die Bilder aus der Ukraine bei den georgischen Rentnerinnen und Rentnern Angst und Schrecken ausgelöst. Was soll ich sagen? Autor und vor allem die Redaktion haben wirklich das Feingefühl einer Kettensäge bewiesen, indem sie ein Rentnerparadies anpreisen, das keine 650 Kilometer vom gerade tobenden russischen Angriffskrieg – Entschuldigung Herr Putin: von der akuten militärischen Sonderaktion – entfernt ist. Da kann das Paradies schneller zur Hölle werden, als allen lieb ist.

PS: Der Artikel ist übrigens am 17. Januar 2022 bereits online erschienen. Damals mag der Geheimtipp vielleicht ja noch Sinn gemacht haben. Wenn ich ihn dann aber am 12. Tag des Krieges in der Printausgabe veröffentliche, dann sollte man den Text vor dem Druck noch einmal lesen und prüfen, ob er noch in die Zeit passt. Qualitätsjournalismus stelle ich mir irgendwie anders vor.

In einer anderen Welt

Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht. Mit diesen Worten hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ihre Erklärung zum Angriff Russlands auf die Ukraine begonnen. Und in der Tat bedeutet der 24. Februar 2022 eine Zeitenwende in der Geschichte Europas, das gerade die größte Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Dabei hätte man es wissen können – und müssen. Die frühere Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer brachte das historische Versagen des Westens auf Twitter auf den Punkt:  „Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet (…), was Putin wirklich abgeschreckt hätte.“ Schlimmer noch: Die Untätigkeit und die Halbherzigkeit Amerikas und Europas dürften den Despoten in Moskau eher noch animiert haben, seine Idee einer neuen Weltordnung mit Brachialgewalt voranzutreiben. Dass Putins Machthunger nach der wohl nicht mehr zu verhindernden Einverleibung der Ukraine gestillt sein könnte, ist eher unwahrscheinlich und unter der Rubrik Wunschdenken abzulegen. In diesem Zusammenhang sind es sicher nicht nur die baltischen Staaten, mit denen der Kreml-Chef liebäugelt, auch die südosteuropäischen Länder Rumänien und Bulgarien dürften für ihn von Interesse sein. Und dann ist da noch die russische Exklave Kaliningrad, zu der das Mutterland Russland vermutlich gerne einen direkten Zugang hätte, wodurch auch Polen involviert sein könnte. Was soll ich sagen? Wenn ich an meine Kinder und Enkelkinder denke, dann bin ich nicht nur traurig, sondern wütend. Auch wenn viele Vergleiche hinken, vielleicht auch dieser: Aber das Geschehen erinnert doch erschreckend an den 1. September 1939, als Deutschland Polen überfallen hat und damit die untauglichen Versuche der Alliierten, Hitler zu besänftigen, gescheitert sind. Auch damals waren es die Angegriffenen, die von der Propaganda der Nazis als die Schuldigen dargestellt wurden. So wiederholt sich dann doch die Geschichte und es sieht leider nicht danach aus, dass sich am weiteren Lauf der Dinge etwas entscheidend ändern würde. Ja, die Welt ist nicht mehr die, in der wir gestern eingeschlafen sind.

Meinungsfreiheit

Zum Fall Martenstein haben sich eigentlich schon genug und vermutlich auch berufenere Journalisten-Kollegen geäußert und ihr Unverständnis über das Vorgehen des Tagesspiegels und seiner Chefredaktion zum Ausdruck gebracht. Eigentlich. Aber das, was da passiert ist, ist Ausdruck einer Entwicklung, die noch einmal böse enden kann. Und deshalb werde auch ich noch meinen Senf zu der Causa hinzugeben, ganz egal, ob der allen schmeckt oder nicht. Worum geht bzw. ging es. Harald Martenstein hat am 6. Februar in seiner Kolumne im Tagesspiegel Folgendes geschrieben: „Wer den Hitlervergleich bemüht, der natürlich nie stimmt, möchte sein Gegenüber als das absolut Böse darstellen, als Nichtmenschen. Der Vergleich will Hitler gerade nicht verharmlosen, er macht ihn zu einer Art Atombombe, die einen politischen Gegner moralisch vernichten soll. Der Judenstern dagegen soll seine modernen Träger zum absolut Guten machen, zum totalen Opfer. Er ist immer eine Anmaßung, auch eine Verharmlosung, er ist für die Überlebenden schwer auszuhalten. Aber eines ist er sicher nicht: antisemitisch. Die Träger identifizieren sich ja mit den verfolgten Juden. Jetzt werden auf Corona-Demos häufig Judensterne mit der Aufschrift ‚ungeimpft’ getragen. Von denen, die das ‚antisemitisch‘ nennen, würden wahrscheinlich viele, ohne mit der Wimper zu zucken, Trump mit Hitler und die AfD mit den Nazis vergleichen. Der Widerspruch in ihrem Verhalten fällt ihnen nicht auf.“ Das wurde, glaubt man dem Tagesspiegel, „sowohl innerhalb der Redaktion als auch von Leserinnen und Lesern stark kritisiert.“ Das wiederum hat den Tagesspiegel nach eigener Aussage nach vielen Gesprächen zu dem Schluss kommen lassen, „dass wir diese Kolumne so nicht hätten veröffentlichen sollen; wir haben diesen einen Beitrag deshalb online zurückgezogen.“ Dass Martenstein daraufhin entschieden hat, nicht mehr für den Tagesspiegel zu schreiben, ist nicht nur verständlich, sondern war auch konsequent und folgerichtig. Was den ganzen Vorgang so brisant macht, ist noch nicht einmal, dass ein Blatt, das sich für das Leitmedium der Hauptstadt hält, offensichtlich nicht in der Lage ist, tagesaktuell zu entscheiden, was journalistisch vertretbar ist und veröffentlicht werden kann. Auch, dass ein verdienter Journalist nach 34 Jahren Zusammenarbeit und unzähligen Texten wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen wird, – wenn auch schweren Herzens – geschenkt. Was aber eben gar nicht geht, ist, dass ein gestandener Autor mundtot gemacht wird, weil er nicht im moralisierenden Mainstream mitschwimmt. Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit sind die Grundpfeiler unserer Demokratie mit garantierter Pressefreiheit. Wer an diesem Fundament sägt, spielt mit der Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder. Was soll ich sagen? Demokratie ist die Voraussetzung für unseren Rechtsstaat. Vor diesem Hintergrund klingt es schon mehr als sonderbar, wenn der Tagesspiegel als Begründung für seine Löschung schreibt: „Wir verteidigen die Meinungsfreiheit, sind uns aber deren Grenzen bewusst. Dabei gilt: Nicht alles, was rechtlich betrachtet gesagt werden darf, ist dem Ton des Tagesspiegels angemessen.“ Beliebiger geht es nicht. Damit ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Um es mit den Worten des von mir gerne gelesenen römischen Dichters Ovid zu formulieren: Wehret den Anfängen. Noch ist es nicht zu spät.

Nur gemeinsam

All meinen Lesern wünsche ich ein frohes, erfolgreiches und vor allem gesundes neues Jahr. Wobei wir schon beim Thema wären: Gesundheit. Das Corona-Virus hat uns nun schon seit zwei Jahren mehr oder weniger fest im Griff. Und jedes Mal, wenn uns Politiker oder Wissenschaftler gerade wieder einmal Hoffnungen gemacht haben, folgt die Hiobsbotschaft auf dem Fuße. So auch jetzt zum neuen Jahr: „Omikron könnte eine Art Game-Changer werden“, hieß es aus der SPD. Die Nachricht war noch nicht ganz verhallt, da taucht wie aus dem Nichts eine neue Mutante – was für ein Wort – in Frankreich auf, die insgesamt 46 Veränderungen an dem Teil des Virus aufweist, mit dem es an die menschlichen Zellen andockt und sie infiziert – und damit neun mehr als bei der sich derzeit bereits massiv ausbreitenden Omikron-Version des Virus. Na denn. Damit mich keiner falsch versteht. Ich will an dieser Stelle niemandem einen Vorwurf machen. Alle, die mit der Bekämpfung dieser Pandemie beschäftigt sind, tun ganz gewiss ihr Bestes. Aber es hat auch niemand die Wahrheit gepachtet. Insofern sollten alle etwas versöhnlicher miteinander umgehen, damit wir hinterher einander nicht so viel verzeihen müssen, um es in Anlehnung an die legendären Worte des inzwischen aus dem Amt geschiedenen Gesundheitsministers Jens Spahn zu formulieren. Was soll ich sagen? Diese Pandemie verursacht nicht nur eine Krankheit mit auch tödlichem Verlauf, sondern sie ist auch toxisch, will heißen: Die öffentliche Diskussion schwankt permanent zwischen Glück und Katastrophe. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Manche Friktionen gehen bereits tief in die Gesellschaft und spalten mittlerweile schon Familien. Dabei ist eines glasklar: Zu bewältigen ist diese Pandemie nur gemeinsam – und das gilt weltweit!

Von Eisbären zu Himbeeren

Franz-Josef Strauß, das CSU-Urgestein – Gott hab es selig, war immer für einen zitablen Spruch gut, zumal der in vielen Fällen den Nagel auf den Kopf traf. Einer dieser Sprüche ist mir heute wieder einmal untergekommen. „Selbst wenn man eine rosarote Brille aufsetzt, werden Eisbären nicht zu Himbeeren“, wusste der Großmeister der Rhetorik und hatte damit ganz sicherlich recht. Ebenso richtig lag er auch mit seiner gerade im Deutschen Bundestag wieder zitierten Mahnung, „dass es rechts von der CDU/CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben darf.“ Doch die Zeiten sind leider längst vorbei. Denn mit der AfD sitzt eine solche Partei im Parlament, die in weiten Teilen alles andere als demokratisch gesinnt erscheint. Und für CDU/CSU und FDP zusammen langt es schon lange nicht mehr, wie Strauß bereits 1987 befürchtete. Nicht richtig lag der politische Fuchs allerdings mit seiner Einschätzung hinsichtlich der Grünen, woran ich mich lebhaft erinnere. Denn beim Neujahrsempfang 1985 im Antiquarium in München vertrat er noch vehement die Auffassung, dass die Umweltpartei nur eine vorübergehende Zeiterscheinung sein würde. Als ich dem ebenso vehement widersprach, raunzte er mich schließlich genervt an: „Nun hör’n S’ doch auf mit Ihren Grünen!“ Was soll ich sagen? Irren ist menschlich, auch bei Politikern.

Dysfunktional, verantwortungslos

In Berlin ist man oft geneigt zu denken: Eigentlich kann es nicht schlimmer werden. Und dann überrascht einen diese Stadt immer wieder: Doch es kann. Aber der Reihe nach. Der Wahlsonntag an der Spree, also dieser unsägliche 26. September, ist bundesweit ja bereits als das Wahlchaos schlechthin in die Analen eingegangen, so dass man zu dem am Anfang beschriebenen Reflex hätte neigen können. Doch die Nachbearbeitung der Wahl und die Feststellung des Wahlergebnisses in Steglitz-Zehlendorf haben einen eines Besseren belehrt und einmal mehr bewiesen, dass in Berlin die organisierte Verantwortungslosigkeit regiert. Diese unglaubliche Geschichte nahm ihren Lauf, als am Dienstagvormittag (19. Oktober 2021) meine Corona Warn-App Alarm schlug und mir mitteilte, dass ich am 11. Oktober eine Begegnung mit einem erhöhten Risiko gehabt habe. Nach einem Blick in den Kalender wurde schnell klar, dass es sich dabei nur um die Sitzung des Bezirkswahlausschusses handeln konnte, an dem die Ergebnisse der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und zur Bezirksverordnetenversammlung festgestellt worden waren und an der ich teilgenommen hatte. Was wäre also naheliegender gewesen, als den Bezirkswahlleiter anzurufen und ihn davon in Kenntnis zu setzen. Gesagt, getan. Allerdings überraschte dieser mich mit der Aussage, dass dies schon sein könne, da jemand, den er mir gegenüber mit Namen und Funktion benannte, ihn am Morgen darüber informiert habe, dass er trotz zweifacher Impfung positiv auf Corona getestet worden sei. Mal abgesehen davon, wie dies datenschutzrechtlich zu bewerten ist, hätte man jetzt doch davon ausgehen können, dass der Bezirkswahlleiter ab dieser Nachricht alle Hebel in Bewegung setzen würde, die Teilnehmer der Bezirkswahlausschusssitzung zu informieren. Immerhin hatten da knapp 30 Menschen, die allermeisten ehrenamtlich, über drei Stunden in einem geschlossenen Raum miteinander verbracht und sich zuweilen auch dicht beieinander stehend ausgetauscht. Doch weit gefehlt. Als ich am Donnerstag im Bezirksamt einmal nachfragte – weil ich bis dato nichts mehr gehört hatte -, wie denn der Stand der Benachrichtigung sei, gestand mir eine Mitarbeiterin des Wahlamtes, dass sie erst durch mich und meine Nachfrage davon erfahren habe, dass es einen Corona-Fall gebe. Nun gut, dachte ich, vielleicht ist der Vorgang ja an das Gesundheitsamt abgegeben worden, und rief dort an. Aber auch in diesem Amt wusste niemand von nichts. Neuerliche Anrufe beim Wahl- und beim Gesundheitsamt brachten ebenfalls keine neuen Erkenntnisse, was immer mehr an meinen Geduldsfaden zerrte, zumal mir ein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde auf meine Frage, wer bei einer Infektion denn in der Pflicht sei, Kontaktpersonen nachzuverfolgen und zu informieren, erzählen wollte, dies sei erst einmal der Infizierte. Auch ein zwischenzeitlicher Hinweis von einer Wahlamtsmitarbeiterin auf den nahenden Feierabend besserte meine Laune nicht gerade, nachdem mittlerweile mindestens drei Tage verstrichen waren, in denen von Seiten des Bezirksamtes aber auch gar nichts unternommen worden war, um die Teilnehmer der Wahlausschutzsitzung zu warnen. Daraus, was ich von der ganzen Sache hielt, machte ich keinen Hehl. Obwohl ich die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben hatte, gelang es mir doch noch, den Bezirkswahlleiter noch einmal an die Strippe zu bekommen. So groß die Freude zunächst war, so groß war dann aber auch die Ernüchterung, nachdem mir dieser bei der Frage nach der Verantwortlichkeit erklärte, das Wahlamt habe die Sitzung organisiert und jeder sei dafür verantwortlich, was er getan – oder eben nicht getan – habe. Konkret ging es darum, dass bei der Sitzung nicht alle Teilnehmer registriert worden waren und insofern nur die im Protokoll festgehaltenen Personen identifiziert werden können. Von einer Kontrolle, wer genesen, geimpft oder getestet war, mal ganz zu schweigen. Die Infektionsschutzverordnung jedenfalls lässt grüßen. Was soll ich sagen? Auch wenn es stimmen sollte, dass der Bezirkswahlleiter bei meinem letzten Anruf gerade dabei war, eine Anweisung in die Tasten zu tippen, nach der – zumindest die bekannten – Teilnehmer der Sitzung informiert werden sollen, zeigt dieser ganze Vorfall einmal mehr, wie dysfunktional diese Stadt tatsächlich ist. Wir reden ja hier nicht von einem lästigen Fußpilz, sondern von einer Krankheit, die im schlimmsten Fall tödlich enden kann. Und da kommt eine Verwaltung derart bräsig daher, dass einem nichts mehr einfällt. Nicht nur meines Erachtens geht das schon über grobe Fahrlässigkeit hinaus, mit der da mit der Gesundheit von Mitmenschen umgegangen wird. Am Montag (25. Oktober) ist übrigens der Ermittlungszeitraum, den die Corona Warn-App berücksichtigt, vorbei und meine App wird wieder auf Grün umspringen. Man darf jedoch gespannt sein, ob bis dahin jemand informiert wurde – und das unabhängig davon, wen welche rechtliche Verpflichtung in diesem Fall überhaupt treffen würde. Aber das Bezirksamt, das ja für die Bürger da ist bzw. da sein sollte, hat hier zumindest eine moralische Verpflichtung – auch und nicht zuletzt gegenüber den Mitarbeitern.

Völlig inakzeptabel!

Guten Freunden gibt man ein Küsschen! So jedenfalls heißt es in der Werbung für eine knackig geröstete Haselnuss umhüllt von feiner Schokolade. In der großen Weltpolitik scheint dies aber nicht zu gelten. Da müssen sich gute Freunde eher mit einen Tritt in den Allerwertesten begnügen. Denn viel anders kann das nicht bewertet werden, was sich die Bundesregierung – neben den eigenen Leuten – mit den afghanischen Hilfskräften geleistet hat, die jetzt vollkommen schutzlos den wütenden Taliban in Kabul und anderswo ausgeliefert sind. Seit Wochen, so berichten es Medien unter Berufung auf das ARD-Hauptstadtstudio, soll die deutsche Botschaft in Kabul vergeblich auf Gefahren für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen haben. Beim Deutschlandradio hieß es wörtlich: „Das ARD-Hauptstadtstudio zitiert aus einem Schreiben des stellvertretenden Botschafters van Thiel vom vergangenen Freitag. Darin heißt es – Zitat – dass den dringenden Appellen der Botschaft erst in dieser Woche Abhilfe geschaffen worden sei. Wenn etwas schiefgehen sollte, so wäre dies vermeidbar gewesen.“ Und dann stellt sich Bundesaußenminister Heiko Maas, der ansonsten so ziemlich alles als inakzeptabel und nicht hinnehmbar bezeichnet, vor die Presse und erklärt: „Wir alle haben die Lage falsch eingeschätzt.“ Na dann, reibt man sich verwundert die Augen und wartet weiter auf Konsequenzen. Während in London ein Minister zurücktritt, weil er sich beim Knutschen mit seinem Liebchen hat erwischen lassen, können in Berlin Minister folgenlos nichts tun, obwohl sie damit für den Tod von Hunderten von Menschen verantwortlich sind, die in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren an unserer Seite gestanden haben. Dabei richtet sich dieser Vorwurf nicht nur gegen den Bundesaußenminister. Auch die Bundesverteidigungsministerin, der Bundesinnenminister und – last but not least – die Bundeskanzlerin haben sich allesamt nicht mit Ruhm bekleckert, sondern auf der ganzen Linie versagt. Wenn sie nicht jetzt ihre Ämter zur Verfügung stellen, wann denn dann? Was soll ich sagen? Mit politischer Kultur hat das alles nichts mehr zu tun. Meinen Enkeln kann ich das schon gar nicht erklären. Um es mit den Worten des Bundesaußenministers auf den Punkt zu bringen: „Völlig inakzeptabel!“

In den Schulen tut sich … nichts

Unsere Enkel genießen gerade noch ihre Schulferien. Dabei ist es gut, dass sie nicht mitbekommen, was sich hinter den Kulissen ihrer Bildungseinrichtungen hier in Berlin tut: Nämlich gar nichts. Während sich gerade die vierte Welle mit der Delta-Variante aufzubauen scheint, ist eine andere längst über Berlins Schulen hinweg geschwappt: Nämlich eine Kündigungswelle von 700 ausgebildeten Lehrkräften, die im neuen Schuljahr fehlen werden. Aber Mangel ist ohnehin das Charakteristikum der Berliner Bildungslandschaft. Es fehlen Lehrer, es fehlen Lüfter, es fehlen Langzeitstrategien, wie unter Pandemiebedingungen der Unterricht aufrecht erhalten werden kann. Alles Fehlanzeige, auch die Bildungsverwaltung macht Ferien und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Derweil schwadroniert mit Karl Lauterbach ein anderer Mann bereits schon wieder vom Wechselunterricht, der viele Eltern in der Vergangenheit mehrfach an die Grenze ihrer Belastbarkeit gebracht und sich für nicht wenige Kinder als Totalausfall entpuppt hat. Aber kaum ein Politiker scheint die Appelle von Kinderärzten und Pädagogen zu hören, dass die Collateralschäden der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen mittlerweile gravierender sind als die Gesundheitsschäden von Corona. Was soll ich sagen? Es ist schier zum Verzweifeln. Bis auf die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, die bereits im Dezember 2020 mit ihrem Antrag Lehren und Lernen aus und nach der Coronakrise mehr oder weniger eine Blaupause geliefert hat, scheint das Thema Schule ansonsten niemanden wirklich zu interessieren – und das bundesweit. Erste Eltern gehen bereits auf die Barrikaden und haben mit ohfamoos eine Petition eingebracht, die ich natürlich bereits unterschrieben habe. Helfen auch Sie mit, dass unsere Kinder und Enkel nicht erneut Opfer einer völlig verfehlten Bildungspolitik in Coronazeiten werden und unterschreiben Sie. Wir sollten nichts unversucht lassen.