Versuch einer Annäherung

Harald Martenstein hat im Tagesspiegel von gestern die Frage aufgeworfen: Mit über 60 Vater werden – ist das egoistisch? Die Frage ist doch eher: Ist es gut für das Kind? Wohl wissend, dass man das so pauschal gar nicht beantworten kann, will ich versuchen, mich ganz vorsichtig einer Antwort zu nähern. Ganz sicher ist es richtig, dass auch ältere Eltern gute Eltern sein können. Allerdings darf der Einwand gestattet sein, dass sich die Natur vielleicht etwas dabei gedacht hat, das ideale Alter zum Kinderkriegen ins dritte Lebensjahrzehnt zu verlegen. Bei einer 25-Jährigen liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Baby mit Down Syndrom auf die Welt kommt, bei 1:1.500, bei einer 35-Jährigen bei 1:400. Fünf Jahre später liegt die Wahrscheinlichkeit schon bei 1:109, bei einer 45-Jährigen gar bei 1:32. Aber auch für Männer, die bis ins hohe Alter befruchtungsfähige Spermien bilden können, ist das kein Freibrief. Ab 35 lässt die Spermienqualität langsam nach. Untersuchungen haben ergeben, dass bei Kindern von Vätern über 45 deutlich mehr Fehlbildungen, schwere Erkankungen und psychische Krankheiten auftreten. Ob das nun an der schadhaften DNA liegt oder andere Ursache hat, sei einmal dahin gestellt. Sicher indes ist, dass alles seine Zeit hat. Und da möchte ich als gleichaltriger Vater zweier allerdings erwachsener Töchter (34 und 37 Jahre) und Großvater zweier vier- und fünfjähriger Enkel auf zwei Textpassagen von Martenstein eingehen, bei denen aus meiner Sicht die ganze Problematik deutlich wird. Ein Kind großzuziehen, sei schön, schreibt er, und fährt fort: „aber es kostet auch etwas, damit meine ich nicht in erster Linie das Geld. Du gibst etwas her, Freiheit, Unabhängigkeit, Lebensgenuss.“ Wenn Martenstein tatsächlich so empfindet, tut er mir leid. Denn Kinder großziehen bedeutet ganz sicher keinen Verlust von Lebensgenuss, sondern vielmehr einen Zugewinn. Vielleicht hängt das ja doch mit dem Alter zusammen und der mühsame Erziehungsalltag ist körperlich wie mental in jüngeren Jahren besser zu verkraften. An anderer Stelle schreibt Martenstein: „Wir Väter verschwinden aus dem Leben der Kinder sowieso, auch, wenn wir noch irgendwo herumwursteln. Irgendwann sind die meisten von uns zu jemandem geworden, den man an Weihnachten anruft, weil es sich so gehört.“ Dem muss ich nun vehement widersprechen. Jedenfalls habe ich nicht das Gefühl, dass ich aus dem Leben meiner Kinder verschwunden wäre. Ganz im Gegenteil. Und die Brücke, auf der wir uns regelmäßig begegnen, ist Liebe und gegenseitiger Respekt, angereichert durch zwei wunderbare Enkelkinder, die ihre alten Großeltern ebenso brauchen wie ihre jungen Eltern. Was soll ich sagen? Besser, um wie Martenstein zu enden, geht’s nicht!

Ein Gedanke zu „Versuch einer Annäherung

  1. Herzlichen Dank für diese Auseinandersetzung mit dem Artikel, der auch mich in Erstaunen setzte. Dass Martenstein tatsächlich die über 60jährigen Frauen ermutigt, dank der modernen Medizin noch ein Kind zu bekommen, um nicht weiter “neidisch” auf die Methusalem-Väter sein zu müssen, ruft bei den meisten Adressatinnen nur ein müdes Lächeln hervor. Herr Martenstein soll sein “spätes Abenteuer” gerne genießen, aber bitte privat und nicht mit großem Auftritt im Tagesspiegel. Dessen Redaktion meinte auch, das Interview mit der befragten Soziologin übertiteln zu können mit “Das hat es immer gegeben”.
    Frau Kreyenfeld bezieht diese Aussage aber auf die späteren Eltern um die 40 Jahre. Zu den 60jährigen äußert sie sich anders: “Das sind absolute Randerscheinungen, die nichts mit der sozialen Realität zu tun haben”. Der Tagesspiegel widmet dieser Randerscheinung nahezu eine komplette Printseite. Wäre diese Entscheidung auch ohne Herrn Martensteins spätes Glück gefallen?

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